Rübenrhetorik

■ Die „FAZ“ entdeckt autistische Rachsucht bei den Serben

Nein, die Serben kommen z. Zt. in der deutschen Publizistik nicht gut weg. Egal was sie tun, dahinter verbirgt sich immer ein fieser Plan. Flüchten die Kosovaren über die Grenze, dann wird von Deportation gesprochen, wobei die Assoziation mit „Auschwitz“ beabsichtigt ist. Im nicht ganz unwesentlichen Unterschied zu den Juden jedoch werden die Kosovaren immerhin in die Freiheit deportiert. Und wenn mal keine Flüchtlinge an der Grenze auftauchen, dann wird das den Serben ebenfalls als Schurkenstück angekreidet, dann heißt es, sie mißbrauchten die Kosovaren als menschliche Schutzschilde vor den Nato-Bomben, dann ist von einer „unheimlichen Kehrtwende der serbischen Vertreibungspolitik“ die Rede. Als Miloevic wegen des orthodoxen Osterfestes einen einseitigen Waffenstillstand verkündete, ohne irgendwelche Bedingungen daran zu knüpfen, wurde sofort ein mieser Trick dahinter vermutet.

Geübt in dieser Rhetorik des Verdachts – im Zweifel sind immer die Serben schuld – ist die FAZ mit ihrem Balkanexperten Matthias Rüb, der jetzt wissen ließ, daß sich „in böswilligem Trotz viele Menschen [in Serbien] für die wahren Opfer des Krieges halten“. Er hat eine „autistische Rachsucht“ bei den Serben entdeckt, die „vernünftigen Gründen“ nicht zugänglich sei. „In dieser Lage sind viele Serben im Ernst der Ansicht, ihr während zwei Dutzend Nächten bei Kerzenschein im Luftschutzkeller erlittenes Leid schreie zum Himmel.“ Daß sich die Einwohner Jugoslawiens als Zielscheiben vor zivile Einrichtungen stellen, in der naiven Hoffnung, sie dadurch vor den Bomben der Nato zu schützen, dahinter kann Rüb nichts anderes entdecken als „ein gefährliches Gefühlsgebräu“.

Allseits wundert man sich darüber, daß es keine Opposition mehr gegen Miloevic gibt. Angesichts der Tatsache jedoch, daß – wie man dem Wirtschaftsteil der FAZ entnehmen konnte – nach den „ersten drei Wochen der Luftangriffe zwei Ölraffinerien, mindestens zehn Treibstoffdepots, fünf große Fabriken (darunter die einzige Autofabrik des Landes), mindestens ein halbes Dutzend Brücken und mehrere Flughäfen zerstört oder schwer beschädigt wurden“, wobei jeden Tag mehr zivile Einrichtungen dazukommen, daß sich zu den 2 Millionen Arbeitslosen der Vorkriegszeit (die schwer zu ermittelnde Quote liegt zwischen 30 und 50 Prozent) immer mehr Menschen gesellen, die ihre Arbeit verloren haben, daß sich der Rest mit einem Monatslohn von 180 DM zufriedengeben muß (FAZ vom 16. 4. 99), angesichts dieser Tatsache ist es etwas degoutant, von den Serben zu erwarten, daß sie Miloevic stürzen, wenn ihnen Bomben der Nato auf den Kopf fallen. „Man denkt hier in erster Linie ans Überleben und daran, daß der Staat nicht zugrunde gehen darf“, sagte Aleksandar Tisma im Spiegel, denn „der Staat, das sind doch wir“, d. h. eine Infrastruktur, die zumindest rudimentär ein Überleben möglich macht. Miloevic hingegen habe dank der Nato seine „innenpolitische Krise, in der er vor zwei Jahren war, jetzt überwunden“.

In Deutschland hingegen muß keine einzige Bombe fallen, damit Matthias Rüb Gewehr bei Fuß steht und alles tut, um den Eindruck zu vermitteln, die Serben würden den Kosovaren mindestens ebenso schlimme Dinge antun wie die Deutschen damals den Serben. Natürlich muß man sich darüber nicht wundern, denn im Krieg wird der Gegner nun mal propagandistisch in die Pfanne gehauen. Laut offizieller Regierungsversion jedoch befinden wir uns gar nicht in einem Krieg. Fischer sagte im Spiegel: „Wir führen keinen Krieg, wir leisten Widerstand.“ Widerstand? Sind die Serben schon in Deutschland einmarschiert? Oder wurden wir gar von der serbischen Luftwaffe attackiert? Wenn von den serbischen Bomben noch niemand etwas bemerkt hat, dann liegt das vermutlich nur an der serbischen Perfidie. Klaus Bittermann