Zwischen den Rillen
: Künstler für Karaoke

■ Young british artists sagen: „We love you“, Orbital machen auf Artrock

Niemand legt sich mehr ins Zeug als dieser Mann. Damien Hirst hat Kühe zersägt, den englischen Fußball-WM-Hit „Vindaloo“ mit Fat Les geschrieben und im Beraterstab von Tony Blair das Kulturprogramm für den Millennium Dome in London entwickelt. Wäre Hirst ein Beatle, hätte ihn die Queen wohl für seine Verdienste in Sachen Pop als Staatskünstler mit einem Orden ausgezeichnet. Doch nun ist der Ruhm auch für Hirst vorbei: Auf der Ambassadors-CD wird er nicht einmal im Booklet gegrüßt, obwohl dort Namen wie Marcel Duchamp oder Guy Debord auftauchen. Dabei ist „We love you“ definitiver State of young british art: So klingt es, wenn englische Künstler mit Popstars und DJs Musik machen.

Schon der Titel zur Sammlung mit 18 Songs ist ein Angebot an den Fan. „We love you“, so bedanken sich Rockunternehmer wie die Rolling Stones bei ihrer Gefolgschaft. Nun ist die Liebe hier aber recht handfest gemeint: „Arse-licking, cock-sucking, fist- fucking“ rattert ein gewisser Minty herunter, und man weiß schnell, daß diese Platte an ältere Modelle von Punk und Dissidenz anknüpfen will. Mag auch die Kunst im Museum stehen, auf CD wird schwer die Sau rausgelassen (im Beiheft sieht man Minty alias Leigh Bowery als gut verpackte SM-Gummiente mit Wehrmachtsmütze). Das dazugehörige Manifest der Ambassadors liest sich nach Bataille-Kurs im Schleudergang – heilig ist der Eros, wenn er weh tut; und wer echte Kunst will, muß auch ein bißchen dafür leiden.

Statt „Cool Britannia“ gibt es in der Tat ein Reihe von bizarren Paarungen. Der bald 60jährige Barry Flanagan, ansonsten Bildhauer mit Vorliebe für Bronzehasen, trägt sein „Mantra of the awoken powers“ vor, während der Stranglers-Gitarrist Hugh Cornwell im Hintergrund mit Effekten spielt. Tracey Emin erzählt zu einem kargen House-Track von Boy George über ihr hingabevolles Liebesleben. Wer sich für die Videoschwestern Jane und Louise Wilson interessiert, bekommt eine mit Drum & Bass unterlegte Abhandlung über „Hypnotic Suggestion“; und wer wissen will, was Chris Ofili, der Turner-Prize-Träger vom letzten Jahr, gerade treibt, wird sich über dessen Zusammenarbeit mit den Industrial-Elektronikern Add N to X wundern – Casio-Melodien und Elefantendungdichtung.

Spätestens mit Sam Taylor- Woods Beitrag kippt dieser Rohschnitt aus Collage, Performance und klanggewordener Deko-Tapete jedoch arg ins Prominentenkarussellhafte ab. Die Videokünstlerin, die zuletzt von Prada gesponsert wurde, ist mit den Pet Shop Boys im Studio gewesen, um eine Cover-Version von „Je t'aime“ aufzunehmen. Jetzt schleppt sich der Sexsong als High-Energy-Variante etwas fußlahm dahin, und Taylor- Wood kiekst in der Vocoder-Bearbeitung wie eine angetrunkene Sekretärin auf Karaoke. Very british, indeed. Überhaupt hat das Gemeinschaftsprojekt einen Haken: Richtig singen kann von den eingeladenen KünstlerInnen niemand. Gavin Turk nuschelt „My Way“, Marc Quinn krächzt sein „Sensual Zero Gravity“ zu Muzak von Brian Eno. Nur bei Georgina Starr ahnt man den Popfaktor, der Rest ist nach der Devise gestrickt: Hauptsache dabei – mit Dank an acht angesagte Londoner Galerien. Vielleicht hätte man die 80 Mark teure CD (ein 112seitiges Hochglanz-Büchlein inklusive) besser als Benefiz- Platte veröffentlicht. Aber wer spendet schon bei young british art?

Auch bei Orbital war die Anbindung an die Kunst absehbar. Für ihre Debüt-CD „Snivelisation“ hatte sich das Duo 1994 von John Greenwood ein Cover stilistisch irgendwo zwischen Max Ernst und Smiley-Culture zeichnen lassen. Zwei Jahre später sahen die Fotomontagen aus dem Hause Foul End Trauma nach frühem Richard Hamilton aus, während in den liner notes zu „In Sides“ für einen „Greenpeace Mobile Solar Generator“ geworben wurde. Soweit das Polit-Konzept hinter den Multikulti-Elektrikern, die für ihr Video zu „The Box“ Tilda Swinton, die Lieblingsschauspielerin von Derek Jarman, durch London kriechen lassen durften. Dann kamen die Charts, Schlammbäder in Roskilde und mit dem Soundtrack zur Neuauflage von „The Saint“ die üblichen Wege des Mainstreams.

Die neue CD zeigt ein Designer-Logo-O, dazu das verschwommene Bild einer jungen Frau. Minimalistisch, urban und sehr elegant. Täuschen darf man sich durch das entschlackte Äußere allerdings nicht: „The Middle Of Nowhere“ trifft die Selbsteinschätzung von Orbital ziemlich gut. Zum Rave der frühen Jahre fehlt ihnen die Disziplin an den Geräten, von der Big-Beat-Fraktion trennt sie zum Glück der Fimmel, überall atonale Samples unterzumischen. Im Niemandsland nach Techno wurstelt man sich halt mit Soundscapes und Bombast voran.

Alles ist artsy. Bald 64 Minuten treiben kunstvoll mit Ornamenten verzierten Stücke – Stichwort: Themenbörse und Improvisation – vor sich hin, nehmen gerne auch Melodieschnipsel wieder auf oder leiten mit einem verdächtigen Krimieinsprengsel zu einer weiteren Runde elektronisches Gebastel über. In den siebziger Jahren hatte man Brian Auger für den entsprechenden British Groove Pop an der Orgel sitzen, wenn es spontan klingen sollte. Bei Orbital merkt man, daß auch für Nerds in den Neunzigern die Nächte am Mischpult lang sind. Dann wird eben am Sequenzer geschraubt, bis die Sonne aufgeht. Nach Hits klingt das nicht, nach Experiment oder Ambient aber auch nicht. Eher schon wie Krautrock und Rüben. Harald Fricke

The Ambassadors: „We love you“ (über Internos Books, London)

Orbital: „In the Middle Of Nowhere“ (London Records)