„Wir verteidigen unsere Freiheit“

■  Der jugoslawische Außenminister Zivadin Jovanovic über die Nato-Luftangriffe und deren Auswirkungen, die Flucht der Albaner aus dem Kosovo und die Rolle der internationalen Gemeinschaft bei und nach Friedensverhandlungen

taz: Herr Minister, wie erklärt Ihre Regierung die Luftangriffe der Nato auf die Bundesrepublik Jugoslawien?

Zivadin Jovanovic: Die Aggression der Nato auf die Bundesrepublik Jugoslawien bedeutet einen Bruch des Völkerrechts, vor allem der Charta der UN und des Abschlußdokuments der OSZE. Die Nato, als ein Verteidigungsbund gegründet, führt unter dem Kommando der USA eine Aggression ohne die Genehmigung des UN-Sicherheitsrats auf einen souveränen Staat durch, der keinen anderen Staat angegriffen hat. Deshalb bedroht diese Aggression nicht nur die Souveränität und die territoriale Integrität Jugoslawiens, sondern auch den internationalen Frieden und die Sicherheit in Europa und der ganzen Welt. Am 24. März hat die amerikanische Aggression auf Europa mit Jugoslawien begonnen.

Seit einem Monat bombardiert die Nato Jugoslawien. Welche Auswirkung hat das auf das Land?

Die einzigen Resultate sind große Menschenopfer und Zerstörung. Diese Aggression wurde anfangs damit begründet, daß Jugoslawien gezwungen werden sollte, ein Abkommen über die politische Lösung im Kosovo zu unterzeichnen. Doch ein Abkommen, als Einverständnis verschiedener Bestrebungen, kann doch nicht mit Marschflugkörpern erreicht werden. Erst danach wurde die angebliche Notwendigkeit der Fortsetzung der Luftangriffe damit begründet, daß eine humanitäre Katastrophe im Kosovo aufgehalten werden sollte. Dabei haben die Bomben die Flüchtlingstragödie im Kosovo und eine humanitäre Katastrophe in ganz Jugoslawien ausgelöst. Unschuldige Zivilisten sind ermordet worden, Tausende Häuser, Brücken, die Eisenbahn, zivile Flughäfen, die Telekommunikation, zivile wirtschaftliche Objekte, Schulen und Krankenhäuser hat die Nato im angeblichen Kampf für Menschenrechte zerstört. Über 500.000 Menschen sind arbeitslos, über zwei Millionen mittellos geworden.

Warum tut das die Nato Ihrer Meinung nach?

Amerika möchte in Europa durch die Nato dominieren. Die angebliche Repression Serbiens gegenüber den Kosovo-Albanern ist eine durchsichtige Ausrede, es geht einzig und allein um die Stationierung von Nato-Truppen im strategisch wichtigen Kosovo. Als Jugoslawien abgelehnt hat, wurde es angegriffen. Washington hat sich in diesen Wahnsinn hineingestürzt, indem es die eigene Öffentlichkeit hinters Licht geführt hat. Mit einer chirurgischen militärischen Intervention sollte Jugoslawien in ein paar Tagen in die Knie gezwungen und okkupiert werden. Seitdem ist ein Monat vergangen. Das zeigt wieder, daß einige westliche Regierungen keinen Sinn für Realität haben und die Erfahrungen aus der Geschichte mißachten.

Ist Ihre Regierung bereit, koste es, was es wolle, sich Amerika und der EU zu widersetzen?

Jugoslawien hat keine Alternative, wir verteidigen unsere Souveränität und Integrität, unsere Freiheit. Es gibt nicht die geringste Chance, mit dieser sinnlosen Verwüstung Jugoslawien zu zwingen, von diesem Weg nur einen Milimeter abzuweichen. Diese irrsinnigen Zerstörungen machen uns nur noch stärker. Jugoslawien kann zu gar nichts gezwungen werden, vor allem nicht, die eigene Okkupation zuzulassen. Systematisch werden zivile Objekte in Jugoslawien zerstört, was die Nato scheinheilig als großen Erfolg gegen die jugoslawische Armee präsentiert, um noch mehr Geld für diese schwachsinnige Aggression zu bekommen. Vor allem für Europa wird dieser Krieg immer teurer. Dabei ist die jugoslawische Armee kaum angetastet worden. Niemand hat so viel Geld, um mit Waffen dieses Land zwingen zu können, sich zu ergeben.

Führt Jugoslawien eine ethnische Säuberung im Kosovo durch? Wird Belgrad die Rückkehr aller Flüchtlinge ermöglichen?

Selbstverständlich können alle jugoslawischen Bürger in ihre Heimat zurückkommen, Jugoslawien hat sie ja auch nicht vertrieben. Unsere Regierung hat alle Flüchtlinge aufgefordert, zurückzukehren. Die Nato-Propaganda hat all diese Greuelmärchen über ethnische Säuberungen, Vertreibungen, Vergewaltigungen und die Repression des serbischen Regimes im Kosovo erfunden. Die Menschen im Kosovo sind vor den wahnsinnigen Bombardements der Nato geflohen, davor gab es keine Flüchtlingskatastrophe im Kosovo. Würden Sie nicht aus einer Stadt fliehen, auf die Abertausende Tonnen von Sprengstoff Tag und Nacht aus der Luft geworfen werden? Albanische Terroristen haben eigene Landsleute aus ihren Häusern vertrieben, um der Nato einen Vorwand für die Aggression zu liefern. Der Henker kann sich als der Retter präsentieren. Die Nato versucht sogar, die Rückkehr der Flüchtlinge zu verhindern. Deshalb wurde auch die albanische Flüchtlingskolonne während ihrer Rückkehr nach Prizren von der Nato bombardiert, 75 Menschen wurden getötet. Denn wenn die Flüchtlinge aus eigenem Antrieb, ohne die Präsenz der Nato im Kosovo nach Hause gehen, hat die Nato gar keine Begründung mehr für Luftangriffe.

Wie stellt sich Jugoslawien denn einen Ausweg aus dieser Krise vor?

Zuerst muß die Aggression der Nato eingestellt werden, sie hat ohnehin keine Aussicht weder auf einen militärischen, geschweige denn einen politischen Erfolg. Das würde die Intensivierung des politischen Prozesses ermöglichen, der sogar während der Aggression im Gange ist. Vertreter der jugoslawischen und serbischen Regierung haben seit dem Ausbruch der Nato-Aggression eine ganze Reihe von Gesprächen mit Dr. Ibrahim Rugova, dem politischen Vertreter der Kosovo-Albaner geführt, der selbst die Nato aufgefordert hat, die Luftangriffe einzustellen. Der Dialog über die Selbstverwaltung und Autonomie des Kosovo muß direkt, ohne internationale Vermittlung, zwischen Vertretern des Staates und Vertretern aller nationalen Gemeinschaften im Kosovo geführt werden. Das politische Abkommen sollte die Gleichberechtigung aller Volksgruppen im Kosovo und die Souveränität und territoriale Integrität Jugoslawiens und Serbiens garantieren.

Will Ihre Regierung die internationale Gemeinschaft ganz aus dem Friedensprozeß im Kosovo ausschließen?

Wir sind sogar nach allen fürchterlichen Folgen der Nato-Aggression bereit, die Anwesenheit von Vertretern der internationalen Gemeinschaft zu tolerieren, aber als Zeugen, keineswegs als Vermittler, die eine Lösung aufdrängen wollen. Während der Implementierung des Abkommens wäre Jugoslawien bereit, ausschließlich zivile, unbewaffnete internationale Beobachter zu akzeptieren. Die Beteiligung jener Länder, die in irgendeiner Weise in die Aggression der Nato auf Jugoslawien involviert sind, ist jedoch ausgeschlossen. Das können wir nach all den Opfern, nach der bestialischen Zerstörung der Nato, nicht zulassen.

Was wird geschehen, wenn die Nato entschlossen ist, bis zum Ende zu gehen?

Ich bin überzeugt, daß die Nato früher oder später gezwungen sein wird, die Aggression einzustellen. Für Amerika ist es jetzt natürlich schwer, ohne jedes Ergebnis diese absurden, kostspieligen Luftangriffe auf Jugoslawien abzublasen. Zumal in der ganzen Welt die Demonstrationen gegen die Nato immer heftiger werden, auch in den Mitgliedsstaaten. Es geht hier gar nicht mehr um Kosovo, sondern um die Glaubwürdigkeit der Nato und der amerikanischen Administration, und deshalb scheuen sie nicht einmal davor zurück, ein ganzes Land brutal zu zerstören. Der Balkan könnte aber leicht zum Verhängnis der Nato werden. Und was heißt das überhaupt, die Nato wird bis zum Ende gehen? Bis zum Ende der Nato? Interview: Andrej Ivanji