Ein Fest für die Sinne

HobbygärtnerInnen retten die Nutzpflanzenvielfalt und schaffen so Alternativen zur gentechnisierten Landwirtschaft  ■ Von Gernot Knödler

Birgit Rumkowski kultiviert 70 unterschiedliche Tomatensorten. Ihre Farben reichen von grün über gelb bis lila und braunrot, ihre Größen variieren zwischen Erbse und Kindskopf – verglichen mit dem Angebot im Supermarkt sind sie ein Fest für die Sinne. Und nicht nur das: Die unterschiedlichen Sorten mit ihren vielen verschiedenen Eigenschaften bieten einen riesigen Genpool, aus dem weitere Sorten erzeugt werden können. Sorten, die neu auftretenden Krankheiten die Stirn bieten, Sorten, die an speziellen Standorten besonders gut wachsen und Sorten, die auch gedeihen, wenn sie nicht mit der chemischen Keule beschützt werden.

Ein großer Teil dieser Vielfalt, die Birgit Rumkowski bei Tomaten, Kürbissen und anderem Gemüse zu erhalten und zu verbreiten versucht, ist mit der Industrialisierung der Landwirtschaft verloren gegangen. „Sie brauchen sich nur einen Samenkatalog von vor 50 Jahren anzugucken“, sagt der Pflanzenzüchter Wolfgang Kreimer, „da stehen Tausende von Sorten drin und heute nur ganz wenige.“ Wer kennt schon die „Ostfriesische Palme“, einen winterharten Grünkohl, der 1,80 Meter hoch wird und dessen untere Blätter als Tierfutter dienen; oder die Möhre „Guerande“, kurz, dick und süß, in der Form eines Ochsenherzens?

Kreimers Firma gehört dem „Dreschflegel“-Verbund an, einem „lockeren Zusammenschluß“ von acht Vermehrungsbetrieben in Norddeutschland, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Nutzpflanzenvielfalt in der Landwirtschaft zu erhalten. Der Verbund ist Teil einer Szene aus ZüchterInnen, Öko-Bauern und AktivistInnen, die der industriellen, zunehmend mit Hilfe von Gentechnik betriebenen Landwirtschaft Paroli bieten will.

Sie suchen alte Gemüsesorten, bauen sie an, probieren aus, an welchen Standorten verschiedene Varietäten am besten gedeihen, tauschen die Samen untereinander und verschenken sie zum Teil an Dritte, nur damit sie erhalten bleiben. Denn die Samen können nicht ewig aufbewahrt werden: Sie müssen alle paar Jahre keimen. Die daraus entstehenden Pflanzen wollen der Umwelt ausgesetzt werden und, frei sich vermehrend, neue genetische Kombinationen hervorbringen können, um auf Dauer lebendig zu bleiben.

Der Lohn der Mühe, die Samen selten gewordener Nutzpflanzensorten, findet offenbar reißenden Absatz: „Das ist ein Boom“, sagt Kreimer, „alle wollen was Ausgefallenes haben.“ Birgit Rumkowski beispielsweise verkauft ihre Tomatensetzlinge mit großem Erfolg auf Hobby-Pflanzenmärkten, das nächste Mal am 15. Mai im Hamburger Umweltzentrum Karlshöhe. „Alte Gemüsesorten“, sagt sie, „das kommt unheimlich gut.“

Ausnahmsweise trifft sich hier die Dynamik des Marktes mit der ökologischen Notwendigkeit der Erhaltung genetischer Ressourcen. Denn die Fans alter Gemüsesorten tun aus Spaß an der Freude heute das, was ihre Vorfahren als Überlebensnotwendigkeit betrieben.

„Es ist früher häufig gärtnerische Praxis gewesen, das Saatgut selber zu gewinnen“, sagt Stephan Kaiser vom Freilichtmuseum Kiekeberg im Kreis Harburg. Und weil jede Gärtnerin einen besonderen Boden hatte, einen mehr oder weniger der Witterung ausgesetzten Garten und ihren eigenen Geschmack, züchtete sie Pflanzen mit speziellen Eigenschaften, so daß ein breites Spektrum von gesetzlich in der Regel nicht geschützten Sorten entstand. In den Schaugärten des Freilichtmuseums sind einige davon zu besichtigen.

Die besonderen Erbanlagen dieser Pflanzen bieten heute ein reichhaltiges Reservoir, mit Hilfe dessen Gemüse und Getreide weiterentwickelt werden kann. Unter ihnen finden Ökobauern die Pflanzensorten, die sie ohne Spritzmittel und Mineraldünger auf Äckern anbauen können, von denen keiner so ist wie der andere. Die Handvoll genetisch verarmter Sorten, die heute am meisten gegessen werden, böten hierzu viel zu wenig Auswahl.

Pflanzenmarkt im Umweltzentrum Karlshöhe, Karlshöhe 60d (nur Hobbygärtner!): von 14 bis 17 Uhr Verkauf, Tausch oder Verschenken von Sträuchern, Stauden, Kräutern, Blumen, Saatgut und auch Zimmerpflanzen; keine Standmiete, Anmeldung nicht erforderlich.

Um zwischen den vielen Leuten, die sich in Hamburg und Umgebung mit dem Thema Saatgut beschäftigen, Verbindungen zu knüpfen, veranstalten der Arbeitskreis Gentechnik von BUND und Ökomarkt, die GLS Gemeinschaftsbank und das Projekt Ökologisches Leben und Handeln des Kirchenkreises Stormarn am Mittwoch, 28. April, 19 Uhr, einen „Abend für Praktiker und Förderer“ in der evangelischen Akademie in Hamburg, Esplanade 15. Dort soll auch ein Fonds zur Finanzierung ökologischer Saatgutforschung vorgestellt werden.