Die Rückkehr der Rauke

Pastinakenbier und Topinamburpüree: Vergessene Gemüse bringen sich in Erinnerung und bieten neue alte Geschmackserlebnisse  ■ Von Karen Schulz

Wer jemals einen gemüseunkundigen Menschen zum Kauf einer Mangoldstaude geschickt hat, ahnt, was passiert: Statt des akribisch geschilderten Blattgemüses wird stolz ein Bleichsellerie präsentiert – und das geplante Menü über den Haufen geworfen. Dabei war der würzige Mangold bei uns noch um die Jahrhundertwende bekannter als Spinat und wird ganz ähnlich zubereitet. Heute kommt er meist aus südlichen Ländern wie Italien und Spanien, wird aber auch bei uns, vor allem von Ökobauern, wieder angebaut.

Mangold ist nur eines von den zahlreichen „vergessenen“ Gemüsen, die sich nach und nach wieder in Erinnerung bringen – und das nicht unbedingt deshalb, weil sie besonders pflegeleicht sind: Wie Markus Marquart von der Hamburger Gärtnerei Sannemann festgestellt hat, unterliegen auch Gemüsesorten einem Trend, ganz ähnlich wie Mode. Und der ist, wie Lothar Krüger vom Göhrdehof kritisiert, für die Erzeuger oftmals nicht kalkulierbar. Bestes Beispiel für die Gemüsemode: die Rauke (ital. Rucola). Dieser würzig-bittere Salat, der optisch an Löwenzahn erinnert, hat die Salatszene geradezu im Sturm erobert. Besonders im vergangenen Jahr war das fedrige Grünzeug der Renner auf Märkten und in Gemüseläden, dabei war es beispielsweise bei Sannemann schon seit Jahren im Angebot.

Der Anbau von Rauke ist relativ problemlos in unserem Klima möglich – ein Freund berichtete im vergangenen Jahr von verblüffenden Rauke-Wucherungen auf seinem Großstadtbalkon. Das gilt auch für den Winter, daher empfielt Marquart Rauke auch in der kalten Jahreshälfte, neben Schnittsalaten wie Postelein oder Rübstiel. Finden kann man solche relativ unbekannten Gewächse im Bioladen oder auf dem Ökomarkt – oder in den Gemüseabokisten, wie sie z.B. bei Sannemann angeboten werden.

Da liegt auch die Pastinake, mit der Englandreisende, die sich vom unverdient schlechten Ruf der Inselküche nicht beeindrucken lassen, sicherlich schon länger vertraut sind. Diese Wurzel ist auf der Insel im Winterhalbjahr Hauptbestandteil vieler Gerichte und in jedem Supermarkt erhältlich. Bei uns mußte man das Gemüse mit dem lustigen Namen jahrelang mit der Lupe suchen. Dabei ist die Pastinake eine der ältesten Sammelpflanzen in Europa und im Wildwuchs in ganz Europa sowie in Asien von Sibirien bis hin zum Kaukasus zu finden. Auch hier gilt das Prinzip von Angebot und Nachfrage: „Wenn man das Gemüse erst einmal entdeckt hat, dann kauft man es immer wieder“, schwärmt Elisabeth Lutz vom Gut Wulfsdorf über das einzigartige Aroma. Süßlich und zugleich herzhaft kommt es besonders gut in einem cremigen Süppchen oder als Püree – auch für Babykost ist die Pastinake wegen ihrer Süße gefragt. Lothar Krüger vom Göhrdehof erntet die Wurzel bis in den April hinein – und verarbeitet neben dem Verkauf das biologisch gezogene Gemüse zu Pastinakenbier oder Dessertwein.

Gemüsesorten wie der kohlkopfgroße Superschmelz-Kohlrabi, der besonders zart ist, oder gelbe Möhren, die vor allem gekocht hervorragend schmecken, bedürfen durch ihre bekanntere Verwandschaft vielleicht nicht so vieler Worte, obwohl auch hier ein Gewöhnungseffekt nötig ist. Topinambur hingegen sorgt nicht nur für sprachliche Wirrungen – Gemüsefachleute legen die Betonung auf „nam“. Unbedarfte GesprächspartnerInnen wittern dahinter eher eine Gazellenart als die stärkehaltige Knolle. Der auch als Erdartischocke bezeichnete Topinambur kommt ursprünglich aus Nordamerika und wird bei uns im Winterhalbjahr bis in den Mai hinein geerntet. Roh geraspelt motzt er jeden Salat geschmacklich auf, gekocht läßt sich daraus beispielsweise ein Püree mit feinem, nußartigem Geschmack herstellen.

Wichtig für alle „neuen“ alten Gemüse ist aber eins: Experimentierfreude. Wer beim Gemüseabo vor allem auf bequemen Lieferservice setzt, sich aber auf den Inhalt der Kiste nicht wirklich einlassen möchte, wird häufig mit den Blättchen und Wurzeln nichts anfangen können. Damit sie wissen, was da auf sie zukommt, berät Markus Marquart daher neue Abo-KundInnen besonders ausführlich. Und wer etwas Neugier und Kreativität mitbringt, wird dann vielleicht selbst zum Gemüse-Trendsetter.

Göhrdehof Lieferservice, 29499 Glieneitz 3, Tel.: 05863-366;

Gut Wulfsdorf, Bornkampsweg 39, 22926 Ahrensburg, Tel.: 04102-32 587;

Gärtnerei Sannemann, Ochsenwerder Norderdeich 50, 21037 Hamburg, Tel.: 73712136;

Rezepte und warenkundliche Tips:

Beatrice Aepli: Pastinaken, Kürbis & Co., Falken Verlag, 1998, 95 S., 16.90 Mark