■ Rosi Rolands Bremer Geschichten: Präsidiale Verkehrsberuhigung
Ist das nicht gemein? Jahrelang haben wir Frauen Erdbeeren über die Weser geschleppt, um sie auf dem Wochenmarkt zu verkaufen, und jetzt? Jetzt soll dieses blöde Bauwerk mit dem geschmacklich hübschen Namen Erdbeerbrücke plötzlich wieder nach so einem Bremer Typen benannt werden. Nach Karl Carstens. Ja, ja, die Männerdomäne! Aber was soll's, war der Karl doch ein Klasse-Typ und so ein toller Naturbursche, der durch ganz Deutschland gewandert ist. Und dabei wahrscheinlich auch das ein oder andere Erdbeerfeld durchqueert hat.
„Klar war“ darum, daß schreibt uns zumindest der gute, alte WESER KURIER, „daß einem Bremer mit einer solch ungewöhnlichen und erfolgreichen Karriere keine Seitenstraße gewidmet wird.“ Darum auch an dieser Stelle noch einmal der bundespräsidiale Lebenslauf – zugegeben, aus dem WESER KURIER abgeschrieben: „Carstens in Kürze: 1914 in Bremen geboren, Klassenbester im Alten Gymnasium, Jurist, 1949 bis 1954 Bremer Vertreter beim Bund, 1966 Staatssekretär, 1972 Bundestagsabgeordneter, Fraktionschef, 1979 bis 1984 Bundespräsident. Verstorben am 30. Mai 1992.“ Vor so einem tollen Typen muß man einfach den Hut ziehen. Darum wird auch in den Vorlagen für Senat und Deputation eigens darauf hingewiesen, daß schon „seit geraumer Zeit“ nach einer „repräsentativen Fläche“ für olle Carstens gesucht wird.
Aber halt. War da nicht noch was? Ach ja, irgendwie fehlen da doch ein paar Jährchen. Darauf haben den WESER KURIER jetzt zumindest auch ein paar unbedeutende Leutchen in Bremen aufmerksam gemacht. So schreiben sie in einem bisher – glaube ich – leider unveröffentlichten Leserbrief: „Urplötzlich macht die Zeitmaschine einen gewaltigen Sprung, wir fragen uns, was war denn wohl zwischen 1933 bis 1949???“
Na was war denn da? Wofür wohl dieser ganze Aufwand? Denn in der Zeit hat der gute Karl höchstens ein bißchen „Mitläufer“ bei den Nazis gespielt, wie er selbst mal eingeräumt hat. „Nur dunkel“ konnte er sich selbst an die Kriegsgerichtsverfahren erinnern, in denen er Beisitzer war. Und Helmut Kohl hat ihm doch auch ein tolles Zeugnis ausgestellt, als er ihn würdigte als „eine der prägenden Gestalten der Bundesrepublik Deutschland“. Nur vom SPIEGEL – die taz lag leider noch in den Windeln – kam wieder böse Kritik: „Sie als Repräsentant der Bundesrepublik wären der Gipfel der Nazi-Verdrängungskünste, die dieses Volk in den letzten drei Jahrzehnten sich und der darob staunenden Welt vorgeführt hat“, schrieb der Redakteur Klaus Pokatzky an den damals 64jährigen Kandidaten.
Nun klafft also offensichtlich eine Lücke in der Bewertung von Karls Lebenslauf. Was tun also mit der Erdbeerbrücke? Einen ganz tollen Vorschlag dazu haben unsere unveröffentlichten LeserbriefschreiberInnen: „Für die fehlenden 16 Jahre schlagen wir vor, eine 16 Meter lange Straßenlücke in der Erdbeerbrücke vorzusehen. Und zwar genau in der Mitte der Brücke, als historische Verkehrsberuhigungsmaßnahme.“ Tolle Sache – dann könnten die ganzen Millionen für den Bau der Georg-Bitter-Trasse gespart werden, die AnwohnerInnen hätten weiter ihre Ruhe, die Erdbeerbrücke einen neuen Namen und Bremen 16 Meter Vergangenheit aufgearbeitet,
findet Ihre Rosi Roland
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen