Waffen kennen keine Moral

Schrille Hausmannskost gibt es zwar immer noch, doch erstmals dürfen auch die Schauspieler tricksen und glänzen: Karin Henkels Inszenierung „Heinrich IV., 2: Der Verrat“, die dritte Folge der „Rosenkriege“  ■    Von Eva Behrendt

Ein Horde Schauspieler saut sich mit Dosenbier ein, fünf ausgesucht unansehnliche Männer präsentieren sich im Slip, acht Schafe schieben übers Bühnenheu, und am Ende bejubeln Hooligans den neuen König Harry.

So könnte man Teil II des Shakespeare-Dramas „Heinrich IV., Teil II.“ der Volksbühnen-Serie „Rosenkriege“ zusammenfassen und zugleich ein kleines Kompendium von Inszenierungszutaten erstellen, angesichts deren Verwendung man sich langsam wundert, daß sie immer noch und wieder funktionieren.

Man könnte – und wäre doch schnöselig ungerecht. Regisseurin Karin Henkel hat sich zwar offensichtlich gleich ihrer Vorgängerin Gabriele Gysi an Frank Castorfs Auftaktvorgaben orientiert: die Strukturanalyse des historischen Kapitalismus als schrille Hausmannskost; die Shakespearschen Königsdramen im flotten Serialformat. Das scheint ein enger Rahmen, den Bert Neumanns Prater-kompatible Kopie des Globe-Theatre noch ein bißchen mehr zusammenzurrt.

Doch diesmal ist Platz und Zeit für schauspielerische Virtuositäten. Jeder darf in seine Trickkiste greifen, ohne daß es so ausschaut, als zöge er private Nümmerchen ab: Cordelia Wege als verwitwete Lady Percy verhandelt mit solch klarer, tränenfeuchter Stimme im Dienste des Friedens, daß man sie sofort als professionelle Herzerweicherin in Krisenregionen absenden möchte, und Klaus Mertens (Friedensrichter Robert Seicht) verwandelt selbst Kalauer wie „Umbau Umbau Täterä“ in intelligente, wohlplazierte Scherze. Kate Strong in der Rolle der halbseidenen Wirtin bleibt sagenhafte 90 Minuten in einen hautfarbenen Perlonstrumpf verheddert, während Gerd Preusche die tragischen Schuldgefühle König Heinrichs IV. mit seniler Verschlagenheit ausgleicht. Und die Vermischung dessen, was bei Shakespeare formal getrennt bleibt – hier Kneipe und kleinkriminelle Beschränktheit, dort Herrscherhaus und großgekotzte Niedertracht –, rechtfertigt Matthias Matschke als künftiger Popstar Heinrich V.: „I'm a Prince and I am funky.“ Schon nach dem Büchsenbierexzeß im Warming-Up wird verknappt die Geschichte von Truppenrekrutierung, Bürgerkriegsstrategen und politischer Lüge erzählt.

Der Lauf der Welt will es, daß hier Regieeinfälle unbehagliche Assoziationen wecken: Als Jung-Harry seine Waffenlieferung auspackt und feuereifrig zusammenschraubt, taucht das Massaker von Littleton auf; und wenn Lady Percy in voller Kriegsmontur verkündet, sie wolle ja bloß „den Frieden begründen“, dräut natürlich die vergeigte Nato-Politik im Kosovo. Die bewaffnete Moralität hat keine Chance. Prinz John von der Konterrevolution (Jürgen Lehmann) becirct die aufständische Lady zum Truppenabzug, um ihr dann – ätsch – den Kopf abzuschlagen. Nachdem so der Status quo gesichert ist, wird der Disput um Macht und Machterhalt ins Vater-Sohn-Gespräch verlagert, was bei aller Komik plötzlich abgefeimt trostlos wirkt: die Rosen-, Bürger- und sonstigen Kriege werden weitergehen. Nur über das referentielle Potential der Schafe braucht man sich sicherlich nicht den Kopf zu zerbrechen: sie müffeln, dekorieren aber stimmig.

Weitere Vorstellungen am 24. und 29. 4. bis 2. 5., 5. 5., 8./9. 5. um 20 Uhr im Prater, Kastanienallee 7–9