Reichstag, Kunst etc.
: Beruf: Scharlatan

■ Antje Vollmer ärgert sich – Gerhard Richter malt schwarzrotgold

War Gerhard Richter überrascht, als er zum ersten Mal hörte, was Antje Vollmer von seinem Beitrag zur Kunstausstattung des Berliner Reichstags denkt? Das Mitglied des Kunstbeirats holte nämlich gleich die ganz dicke Keule der Kritik heraus.

Am Eingang des neuen deutschen Parlaments, dem monumentalen Westportal, kann man nun den Stein des Anstoßes besichtigen: eine vertikal verlaufende Hinterglasmalerei in den Farben Schwarz, Rot, Gold, die – unterteilt in sechs einzelne Felder – die gesamte Höhe von gut und gerne zwei bis drei normalen Stockwerken einnimmt. Kein schlechter Einstieg, dieses ironische Stück Minimal art als intellektuelle Farce von einer Flagge, die Richter, der Meister des Stilwechsels, bei seinen staatsgetragenen Auftraggebern abgeliefert hat. Doch Antje Vollmer ist anderer Ansicht: Sie bezichtigt Richter der „Scharlatanerie“.

Damit will sie vermutlich sagen, daß sie die Erwartungen, die ihrer Meinung nach an einen Künstler dieser Preisklasse gestellt werden, als nicht vollständig erfüllt ansieht. Hätte sie doch bloß geschwiegen oder das, was rausmußte, wegen ihres allgewaltigen Mitteilungsdrangs, zumindest anders formuliert, irgendwie in Richtung „gute Kunst, schlechte Kunst“. Aber es sollte ja unbedingt Scharlatanerie sein. So entstehen Mißverständnisse.

Nun ist der Begriff der Scharlatanerie – besonders im Zusammenhang mit der aktuellen künstlerischen Produktion – leider etwas aus der Mode gekommen. Zu Unrecht. Was hat es in diesem Jahrhundert nicht alles für bedeutende Scharlatane gegeben. Marcel Duchamp, der Erfinder des Ready-mades und damit wirkungsmächtigster Künstler der Moderne, war ein Scharlatan. Danach kamen andere, der Amerikaner Jackson Pollock beispielsweise, dem derzeit in London eine Retrospektive gewidmet ist, die Hunderttausende anzieht. Oder der Tscheche Warhola, der seinen Namen später in Andy Warhol änderte. Der letzte der großen alten Scharlatane war Joseph Beuys, dem Antje Vollmer noch persönlich begegnet sein dürfte vor seinem Tod. Schließlich war Beuys nicht nur Künstler, sondern – wie Vollmer – einer der Gründer der Grünen.

Mit anderen Worten: Scharlatan ist eine Berufsbezeichnung, die Richter ehrt, möglicherweise jedoch gar nicht wirklich zusteht. Denn man kann über die Kunst am Bau im Reichstag – acht Millionen Mark wurden dafür ausgegeben – vieles sagen, aber sicher nicht, daß sie auffallend avantgardistisch sei. Joseph „der heilige“ Beuys („Die Revolution sind wir“) hätte das neue Ensemble vermutlich „Wirtschaftswerte“ genannt. Die Reichstagskünstler sind das All-Star-Team der Szene: Richter, Baselitz, Lüpertz, Holzer, Boltanski – sie werden gehätschelt, umschwärmt, sind allesamt selbstverständlich längst Millionarios. In der Umgebung, auf dem Niveau geht alles, aber nichts schief. Dort, wo die versammelten Herrschaften zu Hause sind, wurde die Scharlatanerie als Schimpfwort bereits vor Urzeiten aus dem Sprachschatz entfernt und final getilgt.

Schade. Und strenggenommen ist Richter selber schuld, hat er doch ebenfalls keine Ahnung, was beim Begriff Scharlatan so alles mitschwingt. Nur so ist die lapidare Replik zu erklären, zu der er sich in einem unüberlegten Moment hat hinreißen lassen. Vollmers Kritik, findet Gerhard Richter, käme „ein bißchen spät – oder zu früh“. So kann man es natürlich auch sehen: So oder so, je nachdem. Ulrich Clewing