Kaum Chancen für Tschernomyrdin

Clinton und Blair lehnen Ergebnis der Belgrader Gespräche des Moskauer Ex-Premierministers als „unzureichend“ ab. Russischer Nato-Experte Trenin: Moskau kann in Zukunft bestenfalls Briefträger zwischen Brüssel und Belgrad sein   ■  Aus Washington Andreas Zumach

Zum zweiten Mal nach der erfolglosen Vermittlungsaktion von Premierminister Jewgeni Primakow Ende März sind Bemühungen Rußlands zur Beendigung des Kosovo-Kriegs gestern zunächst gescheitert. Ein Angebot Belgrads, das Primakows Vorgänger Wiktor Tschernomyrdin nach neunstündigen Gesprächen mit dem restjugoslawischen Präsidenten Slobodan Miloevic veröffentlichte, wurde gestern von US-Präsident Bill Clinton und dem britischen Premierminister Tony Blair zurückgewiesen, noch bevor die 19 Staats-und Regierungschefs der Nato in Washington am Morgen zu ihrer ersten Arbeitssitzung zum Thema Kosovo zusammentrafen.

Eine Reise Tschernomyrdins zum Nato-Gipfel wurde zunächst nicht ausgeschlossen. Doch nach Einschätzung des russischen Nato-Experten Dimitri Trenin hat Moskau „in der gegenwärtigen Situation überhaupt keine Chance für eine erfolgreiche Vermittlung“.

Nach Darstellung Tschernomyrdins hat Miloevic sich auf einen „großen Kompromiß eingelassen“ und ist bereit, eine „internationale Präsenz unter Schirmherrschaft der UNO“ zu akzeptieren. Nach anfänglicher Verwirrung über den Charakter dieser Präsenz stellte das Außenministerium in Belgrad gestern mittag klar, es komme weiterhin keine militärische, sondern nur eine zivile Präsenz (z. B. durch die OSZE – d. Red.) in Frage. Eine „Verringerung“ der serbischen Armee- und Polizeikräfte im Kosovo sei möglich, wenn die Nato zugleich ihre Truppen aus den albanischen und makedonischen Grenzgebieten zum Kosovo abziehe. Die Nato macht bislang noch den vollständigen Abzug aller serbischen Armee- und Polizeikräfte zur Vorbedingung für die Einstellung ihrer Luftangriffe auf Restjugoslawien.

Während das Bonner Außenministerium und der Sprecher von UNO-Generalsekretär Kofi Annan in ersten Reaktionen vorsichtigen Optimismus erkennen ließen, lehnten Clinton und Blair das Angebot aus Belgrad als „unzureichend“ ab. In Washington wurde gestern damit gerechnet, daß sich die anderen 17 Staats- und Regierungschefs der Nato auf ihrer morgendlichen Arbeitssitzung zum Thema Kosovo dieser Einschätzung anschließen werden.

Unter diesen Umständen war unklar, was ein Besuch Tschernomyrdins beim Nato-Gipfel bewirken könnte. Angesichts der derzeitigen Haltung der Nato und Miloevic' könne Rußland keine Vermittlerrolle spielen, sondern höchstens als „Briefträger“ zwischen beiden Seiten auftreten, erklärte Nato-Experte Trenin am Rande des Gipfels in einem Gespräch mit dieser Zeitung. „Wenn Miloevic ablehnt, wird Rußland dafür verantwortlich gemacht“, beschrieb Trenin die „überaus schwierige Situation“ der Regierung in Moskau.

Die „angeblichen Einflußmöglichkeiten“ auf Belgrad, die Moskau von westlichen Politikern und Medien zugeschrieben würden, existierten nicht. „Miloevic verachtet die Russen derzeit mehr als die Nato“, betonte Trenin. Der russische Nato-Spezialist, der 1993 als Forscher am „Verteidigungsinstitut“ der westlichen Allianz in Rom tätig war, äußerte die „tiefe Sorge, daß Rußland auf die großen Fehler der Nato in der Kosovo-Krise jetzt mit ähnlichen Fehlern reagiert“.

Nach Einschätzung Trenins wird die Nato in Rußland „zunehmend als Problem für die europäische Sicherheit wahrgenommen“. Nach der „kurzen Phase der Romanze zwischen Moskau und der Nato“ Anfang dieses Jahrzehnts, der ab 1993 eine „Periode der Unsicherheiten gefolgt“ sei, habe der „Kosovo-Konflikt jetzt Klarheit geschaffen über die Realität der Beziehungen.