Nato bombt Milosevic kurzzeitig von den Bildschirmen

■  Bei Luftangriffen auf Belgrad wird das Gebäude des staatlichen serbischen Fernsehens komplett zerstört. Die Zahl der getöteten Zivilisten ist noch unklar. Internationale Journalistenverbände protestieren scharf gegen die Bombardierung

Donnerstag, 2.05 Uhr. Alle drei Programme des serbischen staatlichen Fernsehens (RTS) senden abermals ein Interview des jugoslawischen Präsidenten, Slobodan Miloevic. Die Nato führe einen Medienkrieg gegen Jugoslawien, sagt der Präsident und oberster Befehlshaber des Landes selbstbewußt lächelnd. Alle Geschichten über die Vertreibung der Albaner aus dem Kosovo, über die ethnische Säuberungen, über die Brutalität der serbischen Polizei seien erlogen.

Plötzlich durchbricht das gefürchtete Zischen die Nachtstille in Belgrad: Ein Marschflugkörper sucht sein Ziel. Drei lange Sekunden vergehen. Dann erschüttert eine starke Detonation das Zentrum der Stadt. Miloevic verschwindet vom Bildschirm. Die drei Programme des RTS fallen aus. Eine dichte Staubwolke steigt in den Himmel. Die Nato hat das Fernsehgebäude getroffen.

Einen halben Kilometer vom RTS entfernt sind in den Wohnhäusern die Fensterscheiben zerbrochen. Im umliegenden Park „Tasmajdan“ liegen Betonbrocken verstreut, auf dem Rasen eine ganze Klimaanlage. Man kommt am schwerbeschädigten Kindertheater „Dusko Radovic“ vorbei und sieht ein Bild der Verwüstung. Das neue, nachträglich gebaute Gebäude des RTS ist ein Trümmerhaufen. Die Nato hat einen Volltreffer gelandet.

Zehn Minuten nach der Explosion umzingeln viele neugierige Bürger das Fernsehgebäude. Mit heulenden Sirenen treffen Kranken- und Feuerwehrwagen ein. Demolierte Autos versperren ihnen den Weg. Bulldozer versuchen in das Gebäude einzudringen. Es gibt kein Feuer. Starke Scheinwerfer tauchen den traurigen Schauplatz in gleißendes Licht.

Überreste von großen Satellitenantennen sind überall zu sehen. Eine Frau wird herausgetragen. Mit weißem Schutt bedeckt lugt die Leiche eines jungen Mannes geisterhaft aus dem Trümmerhaufen. Aus seinem Kopf tropft Blut. Feuerwehrmänner entdecken einen Verwundeten – mit merkwürdig verknoteten Beinen, das Gesicht zur Erde gedreht. Später erfährt man, daß ihm beide Beine amputiert werden müssen. Zur Zeit des Angriffs waren die Redaktionen mit Journalisten und Technikern besetzt. Wie man inoffiziell erfährt, sollen alle unter den Trümmern liegen.

„Ich kann es nicht fassen! Die mußten doch gewußt haben, daß sich Menschen im Fernsehen befinden“, sagt eine 20jährige Studentin weinend. „Das ist so sinnlos. Was wollen diese Idioten mit all den Zerstörungen erreichen?“ Seit Tagen gehen Gerüchte um, daß das staatliche Fernsehen bombardiert werden soll, doch niemand wollte bisher daran glauben. Es ist der bisher schwerste Schlag für die Bürger Belgrads und das Regime. Ein unmißverständliches Zeichen der Nato, daß sie das jugoslawische Regime bis zur Kapitulation bombardieren wird.

Aleksandar Vucic, serbischer Informationsminister und Mitglied der ultranationalistischen Radikalen Partei, ist an Ort und Stelle. „So etwas konnten nur geistesgestörte Menschen befehlen“, erklärt er vor den Kameras von zwei anderen Belgrader Fernsehsendern. Serbien werde man aber nie unterkriegen.

Schon ab fünf Uhr morgens beginnt das serbische staatliche Fernsehen wieder aus einem anderen Studio die üblichen Durchhalteparolen zu senden. Allerdings sind die modernste Technik und die Studios für die Satellitübertragung im Hauptgebäude zerstört worden. Die Nato hat gestern auch zwei Thermoelektronen in Belgrad getroffen. Viele Stadtteile sind ohne Strom geblieben.

Auch der Militärstützpunkt in Batajnica und die Industriegebiete in den Vororten Pancevo und Rakovica wurden wieder bombardiert. Zudem berichteten Bewohner Belgrads, in den Vororten Makis und Zeleznik seien Explosionen zu hören gewesen. Die staatliche Agentur Tanjug meldete außerdem, Nato-Kampfflugzeuge hätten erneut die Hauptstadt der Region Wojwodina, Novi Sad, sowie die Metropole Nis angegriffen. Bei Krusevac, Bogutovac und Ostruznica seien Brücken bombardiert worden.

Die Nato behauptet, mit dem Gebäude des serbischen staatlichen Fernsehens das „Herz der serbischen Kriegsmaschinerie“ getroffen zu haben. Da Miloevic durch die gleichgeschalteten Medien die Serben für den Krieg begeistern kann, wird das Fernsehen als ein militärisches Objekt gekennzeichnet. Für die Bürger Serbiens ist das Fernsehen allerdings eine zivile Institution, deren Zerstörung bei vielen Menschen einen tiefen Schock und neue Wutausbrüche gegen die Nato ausgelöst hat.

Internationale Journalistenvereinigungen protestierten gegen den Nato-Angriff auf das Staatsfernsehen. Der Generalsekretär der Internationalen Journalistenvereinigung (IFJ), Aidan White, sagte, die Nato habe offenbar ihre Taktik geändert und halte sich jetzt nicht mehr an das Versprechen, keine zivilen Ziele anzugreifen. Andrej Ivanji, Belgrad