Kommentar
: Luftnummer

■ Kosovo: Rußland ist dabei, sich als Vermittler aus dem Spiel zu bringen

Ist es der große Erwartungsdruck, eine verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit oder die Freude, als russischer Gesandter überhaupt noch in Belgrad empfangen zu werden? Jedenfalls ist das, was der Jugoslawien-Beauftragte Wiktor Tschernomyrdin der Öffentlichkeit als „einen großen Kompromiß“ von Präsident Slobodan Milošević zu verkaufen versucht, wohl wieder nicht mehr als eine Luftnummer.

Von einer wie auch immer gearteten internationalen Präsenz unter UNO-Aufsicht im Kosovo ist da in verschwiemelten diplomatischen Termini die Rede. Dabei dürfte Milošević wohl eher an das Modell seiner Frau Mirjana denken, die kürzlich und ganz ernsthaft die Anwesenheit von Vertretern des Roten Kreuzes vorgeschlagen hatte. Zumal die Belgrader Regierung gestern erneut eine internationale Militärpräsenz – eine der Forderungen der Nato – in der Krisenprovinz abgelehnt hat.

So ist klar: Alles wie gehabt, zumindest fast. Denn Milošević hat den slawischen Bruder nach dem erfolglosen Besuch von Premierminister Primakow jetzt zum zweiten Mal brüskiert. Daß dieses Nullergebnis die Möglichkeiten Rußlands, sich als Vermittler zu profilieren, nicht gerade befördert, liegt auf der Hand.

Doch nicht nur Moskau scheint wieder einmal zum Statisten degradiert. Das gleiche gilt für den UN-Generalsekretär Kofi Annan, der, sollte er der Einladung von Milošević nach Belgrad folgen, mit ähnlich substanzlosen Floskeln abgespeist werden dürfte. Das gilt aber auch für jene Politiker in den Nato-Staaten, die verzweifelt versuchen, der wahnwitzigen militärischen Eskalation doch noch eine Verhandlungslösung entgegenzusetzen und dabei Rußland und die UNO einzubinden.

Dafür hat die Nato, die seit über vier Wochen im Namen der Menschlichkeit bombt, nun eine neue Legitimation, der jüngsten „Finte“ des Herrn Milošević auf ihre Art zu antworten: vielleicht schon bald mit Bodentruppen, deren Einsatz Großbritanniens Premierminister Tony Blair mittlerweile immer lauter fordert. Doch zunächst mit weiteren Bomben.

Wenn sich dann noch zumindest bei einigen Serben ein regimekritisches Bewußtsein einstellt, da die zerstörten Propagandasender verstummen – um so besser. Ein paar getötete Zivilisten sind ohnehin einkalkuliert. So hat Milošević der Nato doch noch ein Geburtstagsgeschenk gemacht. Unter den Folgen leiden – wie immer – andere. Barbara Oertel