Press-Schlag
: Warum gehen Menschen ins Stadion?

■ Weil Fußball unlogisch ist

Wenn man einem vernunftbegabten Menschen ohne Fußballaffinität in groben Zügen erklären würde, wie die Bundesliga funktioniert, und wenn man ihn dann zum 28. Spieltag auf den Stand der Dinge gebracht hätte – das übliche: Meisterschaft vorentschieden, internationale Ränge dito –, dann müßte der Mensch logisch schlußfolgern: Hört sich langweilig an, da sind viele Stadien bestimmt leer, besonders bei so nutzlosen Spielen wie, mal sehen, diesem da. Und er tippt auf die Begegnung des Zehnten gegen den Neunten.

Die Wahrheit ist: 50.000 Menschen fuhren nach Gelsenkirchen, um Schalke 04 gegen den HSV spielen zu sehen. Das waren 10.000 mehr, als im Saisonschnitt ins Parkstadion gehen. Warum tun Menschen das? Weil Abhängen im Stadion immer noch besser ist als im Schrebergarten Salat auszusäen? Oder weil sie glauben, daß ihnen irgend etwas Spektakuläres entgehen könnte? (Alles, was sie verpaßt hätten, war die höchste Schalker Heimniederlage seit ungefähr vier Jahren, dies nur zur Information für jene mit Statistiktick.) Gut, sagt der vernunftbegabte Mensch, belassen wir es bei der Annahme: Fußballfans sind genügsam. Oder wetterwendisch, weshalb sie in lauer Frühlingsluft den Besucherschnitt pro Stadion (im Saisonmittel 30.000) um mehr als 10.000 hochtreiben.

Was aber ist dann erst bei Spielen los, bei denen es wirklich um etwas geht? Und weil er gerade gelernt hat, was Abstieg bedeutet, zeigt der vernunftbegabte Mensch mitfühlend und aufgeregt (man wird offenbar als Fußballnovize schnell von Gefühlen ergriffen) auf die Partien in Mönchengladbach, Frankfurt, Nürnberg.

Oje. Wieder falsch getippt. Gladbach ist noch leicht zu erklären: Die sind zwar nicht rechnerisch, aber nach allen Erfahrungswerten abgestiegen, also ist das Stadion nun immer halbleer. Das sieht der verständige Mensch sofort ein. Warum soll man jede Woche wieder zuschauen, wie sich ein Trainer und ein alter Stürmer streiten und ein junger Stürmer das Tor nicht trifft? (Zur Belehrung für die Daheimgebliebenen und den Novizen gleich mit gewannen Gladbachs Stürmer 5:2; die Lektionen „Nutzlose Siege“ und „Befreites Aufspielen“ werden an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt, die sind für Fortgeschrittene.)

Aber was soll man dazu sagen: Neuer Trainer und ein sogenanntes Neun(!)-Punkte-Spiel (was das bedeutet, begreift der rationale Mensch sofort) in Frankfurt – und die Besucherzahl (32.000) lag gerade mal 3.000 über Saisonschnitt. Ganz zu schweigen von Nürnberg, wo der Mittelwert von 35.000 Zuschauern locker um fast 10.000 unterschritten wurde.

Jetzt schüttelt der Vernunftbegabte den Kopf und sagt, inzwischen recht ungehalten: Das ist doch alles emotional völlig unlogisch! Glückwunsch, Lektion eins gelernt. Wer das verstanden hat, der hat vom Fußball schon viel verstanden. Katrin Weber-Klüver