Reformfrühling im „Dritten Sektor“

■ 300 Alternative erarbeiteten mit „Berliner Frühlingspapier“ am Wochenende einen Forderungskatalog an die Bundesregierung

„Wenn wir alle weiter so brav bleiben, wie wir in den letzten Jahren geworden sind“, so die feministische Expertin für Arbeitsmarktpolitik, Ingrid Kurz-Scherf, „dann sind die Chancen, daß die rot-grüne Bundesregierung etwas für die Alternativbewegung positiv verändert, gleich Null.“ Nicht nur sie forderte auf dem am letzten Wochenende in Berlin stattgefundenen Kongreß der (ehemaligen) Alternativbewegung zum Thema „Dritter Sektor“ eine schärfere Gangart gegenüber der Bundesregierung. Das Treffen insgesamt war als politische Intervention konzipiert.

Knapp 300 Menschen waren der Einladung von „Netzwerk Selbsthilfe“ sowie der Zeitschrift der selbstverwalteten Betriebe Contraste in die Berliner Humboldt-Universität gefolgt. Auf der Eröffnungsveranstaltung unter dem Motto „Anders arbeiten – oder gar nicht?!“ formulierte Dino Laufer vom Netzwerk-Vorstand die Ziele des Kongresses. Zum einen sollten die alten Utopien der Alternativen wie Selbstverwaltung und keine Gewinnorientierung wieder deutlich gemacht werden. Zum anderen sollten aus einer Diskussion über die Rahmenbedingungen ein konkreter Forderungskatalog erstellt werden. Dieser wurde dann „als direkte politische Intervention“ auf einer Podiumsdiskussion am Sonntag der Öffentlichkeit vorgestellt.

In der Präambel des „Berliner Frühlingspapier“ getauften Forderungskatalogs stellte man sich in der Tradition der genossenschaftlichen Ansätze der ArbeiterInnenbewegung und des Selbstverwaltungsansatzes der Alternativen. Als grundsätzliche gemeinsame Ziele finden sich dort „das Recht auf Existenz im Sinne einer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ohne Arbeitszwang“, eine „Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten und zwischen Nord und Süd“ sowie eine gleiche Verteilung und Bewertung von Arbeit zwischen den Geschlechtern formuliert. Die Bereitstellung von Grund und Boden sowie von Gebäuden für Alternativprojekte wird gefordert. Verwiesen wurde beispielsweise beim Thema Genossenschaften auf Italien, daß dort diese nicht nur als Staatsziel in der Verfassung verankert sind, sondern auch sowohl im Steuerrecht wie bei der Sozialversicherung deutlich bevorzugt werden.

Auf der anschließenden Podiumsdiskussion waren sich alle einig, „daß der Reformbedarf objektiv vorhanden ist, es gehe um die Richtung“, wie die Vertreterin des DGB Berlin-Brandenburg, Petra Meyer, sagte. Als Vertreterin von Bündnis 90/Die Grünen betonte Sybill Klotz, daß es um eine radikale Arbeitszeitverkürzung und damit um eine Wertediskussion gehe. Ansonsten waren ihr aber viele der im Raum stehenden Begriffe und Forderungen zu ungenau und wenig durchdacht. Dagegen sprach sich die PDS-Bundestagsabgeordnete Heidi Knake-Werner klar für einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor aus, fußend auf den Ideen der Alternativbewegung. „Von unten selbst organisiert, muß vom Staat die materiellen Rahmenbedingungen zur Verfügung gestellt werden.“

In einem Resümee der Konferenz zeigte sich Dino Laufer zufrieden. Es sei gelungen, ein sehr breites Spektrum von Alternativprojekten, Gewerkschaften und Kleingewerbetreibenden zusammenzubringen. „Diese Konferenz ist ein erster Auftakt, um eine stärkere Vertretung und langfristige Vernetzung des Dritten Sektors zu erreichen“.

In den gut besuchten Workshops gingen die Diskussionen immer wieder um den Spagat zwischen dem Wunsch nach einem „Andersleben und -arbeiten jenseits von Markt und Staat“, und dem Eingeklemmtsein in den Gesetzen der kapitalistischen Marktwirtschaft. „Eine andere Gesellschaft ist nur“, so Norbert Trenkle von der Zeitschrift Krisis auf der Eröffnungsveranstaltung „gegen Markt und Staat“ durchzusetzen. Christoph Villinger