■ Nebensachen von den Falklands/Malvinas
: Diplomatischer Robinson zählt Schafe

Héctor Cárdenas Barrientos wird derzeit nicht vom Glück verfolgt. Der chilenische Fischer geriet im Südatlantik in Seenot, brach sich dabei sein Bein gleich doppelt und strandete am Ende auf den Falklandinseln. Und hier fängt der Ärger auch schon an: Im argentinischen Sprachgebrauch sagt man Malvinas; die UNO schlägt als Sprachregelung Falkland/Malvinas vor. Aber egal. Die Falklands sind der einzige bewohnte Fleck Erde im Meer zwischen Südamerika und Antarktis. Es gibt dort etwa 250 Einwohner, grüne Schafweiden und unendlich viele Schafe. Kein Kino, keine Diskothek, keine Currywurstbude, nicht die kleinste Annehmlichkeit. Nur Lammkeule alle Tage, der Wind ist schneidend und kalt. Ausgerechnet dorthin also rettete sich Héctor Cárdenas Barrientos. Pech im Pech. Und das Unglück nahm kein Ende: Héctor Cárdenas Barrientos saß fest. Sein Schiff „Saint Dennis“ fuhr ohne ihn weiter; er aber mußte dringend operiert werden. Natürlich gibt es auf den Malvinas keinen geeigneten Operationssaal. Was also tun? Ganz einfach, werden Sie sagen, es gibt ja Flugzeuge. Doch nichts da, der Mann ist gefangen – von der Weltpolitik und ihren Prinzipienreitern. Diese haben die Inseln im Südatlantik von der Welt abgeschnitten.

Seit dem Falklandkrieg darf kein Argentinier mehr seinen Fuß auf die Falklands setzen. Folglich darf auch kein Flugzeug mit argentinischem Kennzeichen. Die schnellste Verbindung zum Kontinent ist also tabu. Bis vor kurzem bot wenigstens die chilenische Fluggesellschaft „Lan Chile“ Linienflüge auf die Malvinas an. Doch auch damit ist Sense, seit der chilenische Exdiktator Augusto Pinochet in London festsitzt. Basta. Sollen die Briten doch sehen, was sie von der Sache mit Pinochet haben. Privatflieger in Puerto Mont, Südchile, witterten bereits das Geschäft ihres Lebens und boten Charterflüge an. Die Regierung in Santiago sah das gar nicht gern, denn die Nation muß in schwierigen Zeiten wie diesen zusammenstehen. Per Dekret verbot der chilenische Präsident Eduardo Frei schließlich die Privatflüge auf die Malvinas. Sämtliche Kontakte zum Festland waren damit gekappt. Es bleibt ein wöchentlicher Flug der Royal Air Force nach London.

Pech für Héctor Cárdenas Barrientos, der eigentlich gar nicht nach London wollte, sondern sein Haus in Chile verlassen hat, um ein paar Fische zu fangen. Eine Weltreise hatte er nicht geplant. Nach London fliegen kann er gar nicht. Zu teuer, außerdem ist er verletzt. Was tun? Seit zehn Tagen sitzt er auf dem langweiligsten Flecken der Erde fest. Er könnte dort hängenbleiben wie Robinson Crusoe, weil niemand von seinen Prinzipien abrücken will. Die Argentinier witterten Morgenluft und boten an, sie würden Héctor Cárdenas Barrientos von den Inseln abholen und ihn nach Chile fliegen. Doch die Kelper, die Inselbewohner, wollten kein argentinisches Flugzeug auf ihren Inseln landen sehen. Sie schlugen vor, daß ein Flugzeug einer chilenischen Firma den Fischer abholte. Indes: Chiles Präsident Frei blieb hart. Kommt gar nicht in Frage. Uruguay und Brasilien wurden kontaktiert – würden sie den Mann ausfliegen? Beide winkten dankend ab.

Armer Kerl, dieser Héctor Cárdenas Barrientos. Er war wohl schon drauf und dran, den Beruf zu wechseln und sich auf den Falklands der Schafzucht zu widmen, als die chilenische Luftwaffe doch noch ein Einsehen hatte. Nachdem er zehn Tage lang Schafe zählen mußte, ließ sich die chilenische Regierung denn doch erweichen und kündigte an, mit einer Militärmaschine ihrem Staatsbürger zu Hilfe zu eilen. Das Flugzeug soll in Argentinien zwischenlanden und einen argentinischen Arzt mit an Bord nehmen.

So wurde es zumindest vergangenen Freitag vereinbart. Bislang wartete Héctor Cárdenas Barrientos allerdings vergeblich auf das Flugzeug ins Krankenhaus. Er bleibt ein Gefangener der hehren Prinzipien der Weltpolitik. Ingo Malcher