Neonazis bomben im Londoner Eastend

Ein Passant transportiert verdächtige Tasche in seinem Auto davon und verhindert so eine Katastrophe. Der Anschlag richtete sich laut Polizei eindeutig gegen die asiatische Bevölkerung des Stadtteils  ■   Von Ralf Sotscheck

Dublin (taz) – Bei dem zweiten Bombenanschlag in London innerhalb einer Woche sind am Samstag abend sechs Menschen leicht verletzt worden. Gestern bekannte sich die neofaschistische Organisation „Combat 18“ zu der Tat – die Zahl 18 steht für den ersten und achten Buchstaben des Alphabets: AH – Adolf Hitler.

Daß die Sache relativ glimpflich ablief, ist einem Passanten zu verdanken, der die verdächtige Tasche in der Brick Lane im Eastend entdeckt und im Kofferraum seines Autos verstaut hatte. Als er damit auf dem Weg zum Polizeirevier war, explodierte die Nagelbombe, der Mann erlitt leichte Verletzungen. Sein Auto wurde völlig zerstört. Polizeikommandant Mike Craik, der die Untersuchung leitet, sagte: „Wir sind dem Herrn sehr dankbar, er war sehr mutig. Der Anschlag richtete sich eindeutig gegen den asiatischen Bevölkerungsteil.“

Brick Lane ist das kulturelle Zentrum des Eastend. Hier leben Mitglieder aller Bevölkerungsgruppen, überwiegend jedoch aus Bangladesch, auf engem Raum zusammen. „Das Eastend ist, wie so viele arme Gegenden, mehr ein romantischer Mythos als Wirklichkeit“, sagt die Journalistin Geraldine Bedell. „Es ist kein homogenes Viertel. Dennoch werden die verschiedenen Stadtteile immer zusammengewürfelt, und ihre Bewohner bezeichnen sich selbst als Eastender.“ Brick Lane zum Beispiel sei „völlig anders als der Rest des Eastend, weil die Straße in ihrer Exotik zum Modeort geworden ist.“ Die Menschen kommen vor allem wegen der Curry-Restaurants.

Manche haben aber andere Motive: Das Londoner Eastend ist Schauplatz für rund ein Zehntel aller rassistischen Überfälle in England. Gestern vor 20 Jahren starb die Lehrerin Blair Peach bei Zusammenstößen mit der Polizei, als die Beamten eine Gegendemonstration der Anti-Nazi-Liga gegen eine Veranstaltung der „National Front“ auflösen wollten. Vor gut fünf Jahren zogen fünfzig weiße Jugendliche mit Brandbomben durch die Brick Lane und zerstörten Dutzende von Läden und Restaurants. Einwohner der Straße gründeten daraufhin die „Brick Lane Massive Gang“ zum Schutz vor faschistischen Überfällen. Gegen eine Bombe, in einer Sporttasche versteckt, sind sie freilich machtlos.

Premierminister Tony Blair, der zur Zeit in Washington Kriegsrat hält, sagte: „Das ist ungeheuerlich und darf nicht geduldet werden. Wir werden alles unternehmen, um die Verantwortlichen zu finden und zur Rechenschaft zu ziehen.“ Mike Craik sagte, man habe eine ganze Menge Beweismaterial: „Wir überprüfen zur Zeit Berge von Videoaufnahmen aus den Überwachungskameras.“

Zur gleichen Zeit, als die Bombe in der Brick Lane hochging, rekonstruierte die Polizei den Anschlag im Londoner Stadtteil Brixton, der eine Woche zuvor verübt worden war. Bei der Explosion der Nagelbombe auf dem Wochenmarkt wurden 39 Menschen verletzt. Zwei Tage später bekannte sich Combat 18 zu der Tat. Im Laufe der vergangenen Woche behaupteten jedoch drei weitere Nazi-Organisationen, die Bombe gelegt zu haben. Die Polizei hat 30.000 Pfund Belohnung für Hinweise ausgesetzt.