Abschied im Ruderboot

Mit Oma und Tochter einmal um die Insel: Das Metropolis zeigt erstmals in Hamburg Andrew Köttings grandioses Roadmovie „Gallivant“  ■ Von Jan
Distelmeyer

1997 war kein schlechtes Kinojahr. Kluge Konzeptionen und mal mehr, mal weniger verschlungene Pfade auf dem Weg zu einer erkenntnistheoretischen Auseinandersetzung mit dem Kino und mit Bildern überhaupt gab es da zu verfolgen. Zum Beispiel in Gabriele Salvatores Science Fiction Nirvana, in John Woos Face/Off, in David Finchers The Game und in Chris Markers letzter Kinoproduktion Level Five. Außerdem waren da ja noch Jane Campions unterschätztes Portrait Of A Lady und natürlich Leon Gasts großartige Ali-Dokumentation When We Were Kings.

Viel Konkurrenz also – selbst für großangelegte Produktionen –, um sich nachträglich in der Erinnerung an 1997 behaupten zu können. Je mehr faszinierende Filme einem so rückblickend in den Sinn kommen, desto größer wird die Verwunderung darüber, daß ein Film in der Erinnerung über all diesen anderen steht: Andrew Köttings Gallivant. Dabei ist er nicht einmal regulär im Kino angelaufen, und man mußte verdammtes Glück haben, um ihn nicht auch auf der Berlinale 1997 zu übersehen. Das Metropolis zeigt Gallivant jetzt mit Verspätung endlich auch in Hamburg.

„Umhertreiben“, die deutsche Übersetzung des englischen Titels, trifft es eigentlich ganz gut. Noch besser jedoch wäre Gallivant mit dem Umriß Großbritanniens zu beschreiben, denn die Bewegung dieses Begegnungs-Experimental-Dokumentar-Roadmovies führt einmal um die Insel herum. Andrew Kötting bricht mit seiner 85jährigen Großmutter Gladys und seiner 7jährigen Tochter Eden auf, um mit beiden zusammen an der Küste entlang die britische Insel zu umrunden. Diese Reise ist nicht nur ein Beginn, bei dem sich eine neue Beziehung zwischen Urenkelin und Uroma aufbaut und bei dem alle drei Beteiligten ein neues Verhältnis zu dem entwickeln, wofür „Heimat“ nur ein irritierendes Wort sein kann. Gallivant bebildert zugleich verschiedene Formen von Abschied: Ebenso wie Gladys hat auch Eden, die am Joubert-Syndrom leidet, nur noch eine kurze Zeit zu leben. Es ist die Krux und zugleich die außergewöhnliche Stärke, daß eine Beschreibung von außen Gallivant in keiner Weise gerecht werden kann. Was hier pathetisch, sentimental oder gar klebrig klingen mag, ist als Film das genaue Gegenteil. Schon aufgrund der Begegnungen, die das Trio auf seiner Reise hat – etwa wenn man am Kuhgatter über die verheerenden Fehler der Regierung Major spricht und Kötting inmitten hartnäckigstem Dauerregen mit einem Strandcafébesitzer auf dessen menschenleerer Terrasse über das wunderbare Wetter und das glänzende Geschäft plaudert.

Mit einer ungeheuren Leichtigkeit beschreibt Gallivant damit eine Reise, in der verschiedene Stimmungen (oft zeitgleich) ihren Platz haben und darüber zu einem wunderbar dialektischen Ganzen werden. Begegnungen und Abschiede, Vergangenes und Zukunft sind so unprätentiös miteinander verbunden, daß jedes einzelne dieser Momente um so nachdrücklicher seinen Platz beansprucht. In Unterhaltungen über Sozialismus und bei waghalsigen Dreharbeiten auf dem fahrenden Wohnmobil ebenso wie in absurden Ausstellungen in öffentlichen Toiletten und bei stillen Gesprächen zwischen Gladys und Eden während einer Bootsfahrt.

morgen, 19 Uhr; Sonntag, 2., 17 Uhr, Mittwoch, 5. Mai, 21.15 Uhr, Metropolis