Ein Männertraum

■ Frank Hofmann inszenierte den „Fliegenden Holländer“ am Theater als überzeugende psychologische Studie

Eigentlich eine Geschichte, die heute kaum noch zu erzählen ist: Wagners frühe Oper „Der fliegende Holländer“ thematisiert das Lebensthema des Komponisten: die Erlösung durch eine Frau. Widerfahren soll sie nach einer alten Sage dem unerlöst auf den Meeren herumfahrenden „Holländer“, der alle sieben Jahre an Land gespült wird.

Nun haben sich unter dem Einfluß von Psychoanalyse schon in den achtziger Jahren diverse Regisseure wie Harry Kupfer, Herbert Wernicke oder Ulrich Melchinger an Interpretationen herangewagt, die der Geschichte jegliches romantische Pathos nehmen. Sie erfanden für sie Bilder, die mit der Spannung zwischen Archetypus und Psychose arbeiten oder auch das Verhalten der Senta als eine „Normalität“ junger Mädchen zeigen, die in ihrem spießigen Elternhaus nicht mehr klarkommen und sich deshalb die notwendigen Gegenwelten schaffen.

Es war für die Neuinszenierung am Bremer Theater keine Frage, daß sich Regisseur Frank Hoffmann an eine solche Lesart der Oper anschließen wird. Er ist in seinen fünf bremischen Inszenierungen aufgefallen durch sehr genaue Benennungen psychologischer Sachverhalte. Seine im großen und ganzen überzeugende Inszenierung des „Fliegenden Holländers“ versucht eine Gratwanderung. Senta kann die bürgerliche Enge, in der sie lebt, nicht ertragen. Eine Zumutung für sie die zynischen Spinnerinnen, der tapsige und geldgierige Vater, der brave, sich immer den Anzug zuknöpfende Erik, der seinen Zustand als Sentas Verlobter wohl nur erreicht hat, weil kein anderer in diesem einsamen Kapitänshaus da war.

Der Holländer, als er Senta in dieser Verfassung trifft, gleicht dem Einbruch einer ganz anderen Wirklichkeit. Senta hat auf ihn gewartet. Gleichzeitig ist er reine Projektion, denn aus der wahnsinnigen Erwartungshaltung des Mädchens kann keine Wirklichkeit werden. Daß sie spinnt, daran läßt die Gestik der Amme Mary keinen Zweifel. Dem Holländer ergeht's ähnlich: ein Mann, der Heimat sucht, und ebenfalls an seinen Übererwartungen scheitert.

Dafür finden Hofmann und sein kongenialer und bewährter Bühnenbildner Ben Willikens viele stimmige Bilder. Senta singt ihre Ballade auf einem an Seilen hängenden Tisch hoch über den spinnenden Frauen, ebenso selbst gewählt allein wie unerreichbar für andere. Der Holländer vor glutrotem Hintergrund ist fast keine Person, sondern eine Idee. In dieser Grundidee fundieren raffinierte bis perfekte Lichteffekte – großartig die Projektion des Holländerschiffes im Hintergrund, das bei seiner Abfahrt echte Konturen annimmt. Dementsprechend ist die Bühne abstrakt und wird mit geometrisch geformten Symbolen variiert. Als der Holländer und Senta ihr ekstatisches Liebesduett singen, verzieht sich das Mobiliar in die Höhe. Die Wirklichkeit verschwindet. In diesem Sinne stark auch die Konfrontation der besoffenen Daland-Seeleute mit denen des Holländers: eine surrealistische Endzeitkatastrophe. Jeder Tisch steht schief.

Ein Charakteristikum der Aufführung ist die Sorgfalt, mit der jeder Ton, die Atmosphäre, der Raum der Musik beachtet und umgesetzt werden. Das geschieht zuweilen auch (selbst)ironisch, etwa wenn im über der Bühne hängenden Rettungsring immer dann das geheimnisvolle Holländerrot aufleuchtet, wenn von ihm die Rede ist.

Das beste Beispiel für die Beachtung der musikalischen Atmosphäre ist die verquere Welt des tolpatschigen Daland: Verschlagen, opportunistisch, und doch liebenswert. Seine Musik hat einen lockeren Pfiff, der sonst so in der Musik nicht vorkommt. Die hymnische Musik der Liebenden steht dem diametral entgegen. Gestalterisch läßt Andreas Haller in der Titelpartie keine Wünsche offen. Geheimnisvoll und charismatisch, wie er einfach nur regungslos dasteht – da kann man Senta verstehen. Gesanglich ist das aber nicht so überwältigend: Legatolinien und Pianotöne vermißt man schmerzlich. Ursula Prem, die die Senta betörend singt, ist in ihrer Obsession eine anrührende Gestalt. Nicht von dieser Welt und doch entschieden in ihr. Graham Sanders als Erik war wohl indisponiert, Karsten Küsters bot als zappeliger Daland pralle Intensität, wenn er sich in den Geschmeiden geradezu badet, ohne jedes Verständnis für seine Tochter.

Nicht ganz auf geht in dieser Inszenierung der Versuch, das Ganze als Rückblick Sentas auf ihr Leben ablaufen zu lassen: die alte Frau am Rand ist zwar immer präsent, was aber keine Folgen für den szenischen Ansatz hat. Dirigent Rainer Mühlbach schärfte die peitschende Dramatik mit dem Orchester hervorragend, präsentierte Klangflächen von direkt dramaturgischer Wirkung. Kurzer, aber herzlicher Beifall mit einigen Buhs – warum denn das? Ute Schalz-Laurenze

Die nächsten Aufführungen im Mai: 9., 14., 18., 21., 25., 28. und 29., jeweils um 19.30 Uhr