Körperbotschaften

■ Im SO 36 wurde mit der Vorsilbe „trans“ in feministischen Kontexten experimentiert

Der Fotograf und Untergrundfilmer Del LaGrace Volcano ist Mann und Frau, absichtlich. Aufgrund einer Laune der Natur entwickelte er, der bei der Geburt weiblich war, in der Pubertät einen asymmetrischen Körper: Links wuchs eine sehr große Brust, rechts kaum eine. Hinzu kamen ein Bart und hohe Testosteronwerte. Für einen weiblichen Teenager, der er bis dahin noch war, „eine Strafe Gottes für zuviel sexuelle Aktivität“. Sein Weg aber führte ihn vom Tabu über das Coming-out zum Tabubruch.

Als Feministin zupfte er sich zuerst die Barthaare täglich mit einer Pinzette aus dem Gesicht, stopfte die linke Brust aus, ließ sie sich später verkleinern und die rechte per Siliconimplantat vergrößern, heiratete, lebte als Lesbe, nahm zusätzlich Testosteron. Er wurde „female to male“, ein Hermaphrodit, ein Mann mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen, der auf maskuline Frauen steht. Er ist nicht transsexuell, verweigert sich dem Zwang zum Entweder-Frau-oder-Mann. Heute hat er nach wie vor seine Brüste; die Klitoris, aufpumpbar, kann zum Penis werden.

Er steht auf Maskulinität und dennoch auf Frauen. Vom Aussehen her ist er ein Mann, und in der Sprache ist er es ebenfalls, weil es „ersie“ oder „sier“ als Pronomen (noch?) nicht gibt. Der Körper des 42jährigen ist die Message. Wie auch sein Name, in dem sowohl „grace“ (Anmut, Grazie, Würde) als auch Vulkan steht. Er ist ein Gender-Terrorist, einer der transgender jenseits des Geschlechts lebt, einer, dessen Erfahrung mit zugeschriebenen Geschlechterrollen authentisch ist: „Als Mann wird man mehr respektiert als als Frau.“ Was aber, wenn denen, die dem Mann mehr Respekt zollen als der Frau, klar wird, daß sie ihn einem Mann im Körper einer Frau gezollt haben? Auf zwei Veranstaltungen im SO 36 und im Kato, die von der Salonière und Veranstalterin ungewöhnlicher Events, Mahide Lein, organisiert waren, wurde am Wochenende mit der Vorsilbe „trans“ im feministischen Kontext experimentiert: TRANSnational, TRANSgender, TRANSformation, TRANSzendental, TRANSwelt. Ein Aufruf zur Überwindung der Gegensätze aus der Sicht von Frauen. Mutig das Programm, wenngleich der Bühnensalon im Kato eher zusammengewürfelt und diskussionsunfreudig war.

Nur in monokulturell gedachten Gesellschaften würden Forderungen nach Multikultur laut werden, meinte die nigerianische Feministin und Aktivistin Stephania A. A. Evboikuokha. Die indische Künstlerin Zarimma Harat beschwor die unbegrenzte Persönlichkeit durch die Auseinandersetzung mit dem konkreten Gegenüber. Simran Kaur Khalsa, Yogalehrerin und bekennende Sikh, macht das innere Wesen des Menschen zum äußeren und erlaubt ein bewegliches Fließen zwischen beiden. Del LaGrace Volcanos sehr persönliche Präsentation seines bisherigen Lebens, aber auch seiner künstlerischen Arbeit, war am überzeugendsten dargestellt.

Er nämlich lebt die Grenzen des Geschlechts, indem er sie transzendiert. Er trägt heute sein feministisches Wissen in die Boys-Clubs und erfüllt damit eine wesentliche Forderung der Schriftstellerin sowie Lebensgefährtin der 1992 verstorbenen schwarzen feministischen Theoretikerin Audre Lorde, Gloria I. Joseph, die auch auf dem Podium war. „Mit politischen Forderungen, die sich nur auf ein einziges Thema beziehen, ist kein Kampf zu gewinnen.“

Waltraud Schwab