Quer durchs Secondhand-Eldorado

Die belgische Band dEUS verkörpt genau die Art von Rebellion, die MTV-Kids verstehen. Bei ihrem Konzert im Columbia Fritz zeigte sie, daß sie noch mehr zu bieten hat als nur Krach und catchy Melodien  ■   Von Gerrit Bartels

Auf dem Nachhauseweg fragt man sich, ob das eine gute Idee von dEUS war, ausgerechnet mit „Eisbär“ von Grauzone das Konzert zu beschließen. Diesen alten NDW-Heuler pfeift man in der Regel noch die ganze Nacht hindurch, der kann den Eindruck eines fast zweistündigen Konzerts völlig verfälschen. Und zu den morbiden und melancholischen Rocksounds von dEUS paßt er schon gar nicht.

Doch dEUS sehen wohl in dem Schweizer Stefan Eicher, der seinerzeit für „Eisbär“ verantwortlich war, einen Gleichgesinnten qua Herkunft. Schließlich kommen sie aus Belgien, also auch aus einem Land, das nicht gerade Popstars am Fließband produziert. Und wie bei Eicher (Pop, Chanson, Singer/Songwriter) lassen auch sie sich nur schwer verorten: Rock ja, Indie und US-Grunge nein und auch nicht die typische Brit-Pop-Melodie.

dEUS sind seit ihren Anfängen lieber kaputt und verspielt zugleich: ein bißchen Tom Waits und Lou Reed hier, ein bißchen Pop und Streicher da. Auch der Titel ihres neuen Albums, das insgesamt viel ausgeglichener und festgezurrter klingt als die Vorgänger, spricht da eine deutliche Sprache: „The Ideal Crash“. Sie verkörpern die Art von Rebellion, die MTV-Kids verstehen: wenig Inhalte, ein paar verquere Hits und ein Outfit, das laut Plattenfirma schon mal „von namhaften Designern wie Raf Simons“ entworfen wird, auf der Bühne des ausverkauften Columbia Fritz aber eher an „Made In Berlin“ oder „Garage“ erinnert. Einmal quer durchs Secondhand-Eldorado, wo jeder der sechs Herren in einer anderen Ecke fündig geworden ist: Lederjacke, Samtcordjacke, Sakko, hellroter Pullover, kurzärmeliges schwarzes Hemd usw. usf. Doch Nachlässigkeiten sind etwas für zu Hause, je ungestylter man sich gibt, um so cooler und glaubwürdiger wirkt das Auftreten.

Mit ihren neueren Songs aber beweist die Band, das sie ein bißchen mehr drauf hat als eine catchy Melodie und Krach wie „Suds and Soda“ oder „Via“, die ersten Mini-Hits, die das Publikum am allermeisten zum Toben bringen (dEUS-Fans sind treue Seelen). Ein Stück wie „Theme from Turnpike“ von ihrem zweiten Album, „In A Bar Under The Sea“, aber muß selbst Rock-Ignoranten ein Kribbeln unter der Kopfhaut verursachen: drei Jahre alt zwar schon, doch plötzlich total präsent. Es hat was von Treppenstufen, auf denen man mit dem linken Fuß umknickt, von Madeleines, die in den Tee getunkt werden, also dem Auslösen von unwillkürlichen Erinnerungen und Heraufbeschwören von versunkenen Welten. Songs, die man gut für sich verschlossen hat, die nicht jederzeit abrufbar sind, die man für sich behalten will und nicht für die ganze Welt. Sänger Tom Barmann erinnert mit seiner Stimme öfters an Greg Dulli von den Afghan Whigs, doch statt Soul hat Barmann immer nur den Blues im Kopf. Er mimt den großen Operator, der Wissen gepachtet hat und Leid und trotzdem keinen Ausweg kennt außer: „Everybody's Weird“.

Daß die unruhige Big-Band-Atmosphäre manche Zwischentöne verschluckt, versteht sich von selbst. Man hat eigentlich nicht das Gefühl, daß gleich drei Gitarristen nötig wären, und auch die Streicher, Hörner und Keyboards, live und vom Band, entfalten nicht die gleichen Effekte wie auf den Alben. Weniger zu ertragen allerdings sind solche Mätzchen wie plötzlich eingestreute Disharmonien, Brüche und Diskoeffekte. Oder der Einsatz von zwei blauen und einer roten Leuchte auf der Bühne, um eine Crash-Atmosphäre à la David Lynch zu simulieren. Das bringt es nicht wirklich, und es vermittelt den Eindruck, als würden dEUS der Kraft ihrer Songs allein nicht recht trauen. Sollten sie aber. Denn kaum ist man nach dem Konzert zu Hause angelangt, hat man den Eisbären am kalten Polar bereits vergessen und die Melodien der dEUS-Songs wieder im Ohr.