Polizei sieht an roter Ampel rot

■  Für einen 21jährigen Studenten endete das Überqueren einer Straße bei Rot mit einer Festnahme. Nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung wurde er mit tauben Händen kommentarlos nach Hause geschickt

Das Überqueren einer Straße bei Rot kann unter Umständen ungeahnte Folgen haben. Diese Erfahrung mußte zumindest Florian Hecker machen, als er am vergangenen Samstag eine rote Ampel an der Wilhelmstraße Ecke Leipziger Straße nicht beachtete. Der 21jährige war zusammen mit Freunden auf dem Heimweg vom Technotempel „Tresor“. Weil kaum ein Auto unterwegs war, gingen sie bei Rot über die Straße.

Was dann geschah, steht in keinem Verhältnis zu diesem Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung. Als Hecker auf der Fahrbahn stand, drehte ein kurz zuvor vorbeigefahrener Streifenwagen um und näherte sich ihm. „Ohne nach meinen Personalien zu fragen, wurde ich gegen den Einsatzwagen gedrückt und bekam Handschellen verpaßt“, schildert der Politologiestudent das Geschehen. „Danach haben sie mich in den Dienstwagen geschmissen. Die Handschellen waren so fest, daß ich ein ganz taubes Gefühl in den Händen hatte.“ Als er nach den Dienstnummern der beiden Polizisten fragte, hätten diese über Funk Verstärkung geholt. „Ich habe mich gefühlt wie ein Schwerverbrecher, dabei bin ich doch lediglich über eine rote Ampel gelaufen“, so Hecker.

Ein Mann, der Zeuge der Festnahme wurde, sagte zur taz: „Ich habe gesehen, daß ein schmächtiger Typ im Einsatzwagen saß und ein Polizist wie blöde auf ihn einprügelte.“ Als er die Beamten zur Rede stellen wollte, warfen ihn sechs Beamte auf den Boden und legten ihm ebenfalls Handschellen an. Dann bekam er eine Anzeige wegen Gefangenenbefreiung und Widerstand. Seine Angaben bestätigt neben den Freunden von Hekker auch ein BZ-Journalist, der zufällig vor Ort war. Hecker wurde kurz darauf auf eine Polizeiwache in Kreuzberg gebracht und erkennungsdienstlich behandelt. Außerdem wurde ihm Blut abgenommen. Eine Erklärung für die Behandlung bekam er nicht. „Die hätten doch mit mir nach Hause fahren oder meine Freunde fragen können“, empört er sich.

Auf Anfrage der taz äußerte sich die Polizeipressestelle gestern nicht zu der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes. Ein Sprecher gab lediglich an, daß gegen Hecker eine Anzeige wegen Beleidigung, Widerstand und Körperverletzung vorliege. Auch von einem Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung war nicht die Rede.

Nach der erkennungsdienstlichen Behandlung wurde Florian Hecker ohne jeglichen Kommentar nach Hause geschickt. Weil er unter Schmerzen und Taubheitsgefühl in den Händen litt, suchte er die Rettungsstelle des Städtischen Krankenhauses Prenzlauer Berg auf. Diese bescheinigte ihm zahlreiche Hämatome im Brustbereich, an Armen und Beinen sowie Sensibilitätsstörungen beider Daumen und Zeigefinger. Aufgrund der Verletzungen muß der junge Gitarrist sein Hobby vorerst auf Eis legen. Im Krankenhaus habe ihm eine Ärztin gesagt, daß „so etwas in letzter Zeit öfter vorkommt“, so Hecker. Sie vermute, daß die Polizei „vielleicht schon für den ersten Mai probt“. Katrin Cholotta