Albert Hefele
: Herr Hefele kriegt zwei Minuten

■ "Papa, Papa, bitte erzähl doch noch mal die Geschichte von Gräzzi"

Es gibt Leute, die beim Anblick von Kindern prinzipiell dahinschmelzen. Die Kinder dafür lieben, weil sie Kinder sind. So einer bin ich nicht. Für mich sind Kinder nichts anderes als junge Menschen. Und von denen sind manche angenehm und nett und andere nervig und fürchterlich unsympathisch. Kinder, denen ihre spätere Erwachsenenblödheit schon auf die Stirn gemeißelt steht. Solche Kinder sollen, was mich angeht, gleich wissen, daß sie mir besser vom Leibe bleiben. Kind hin, Kind her. Ungerecht? Mag sein. Trotzdem.

Ich sehe schon einen ganz bestimmten Frauentyp einen ganz kleinen Mund kriegen: „Hoffentlich hat der keine Kinder...“ Keine Angst. Hat er nicht. Und das ist auch gut so. Meistens. Nur manchmal... da wäre so ein Kind schon praktisch. Ein großäugig staunendes Wesen, dem man all sein Wissen und seine unbezahlbaren Erfahrungen weitergeben könnte. Einer dieser Momente war letzte Woche während des Abschiedsspiels des größten Eishockeyspielers aller Zeiten. Das letzte Spiel von „The Great One“ – Wayne Gretzky.

Was das eine mit dem anderen zu tun hat? Gemach und ganz von vorne: Ich, Albert Hefele, hatte nämlich das große Glück, den größten Eishockeyspieler aller Zeiten noch spielen zu sehen. Mitten in New York, im Madison Square Garden, mit den Rangers, während der 97er Play-offs der NHL. Gegen die Florida Panthers – und ihn während dieses Spiels – unvergeßlich! – drei Tore innerhalb eines Drittels erzielen zu sehen! Auch für den größten aller Eishockeyspieler ein nicht alltäglicher Vorgang. Ich saß mit 18.000 Fans in dieser unglaublichen Halle. In dieser Metropolitan Opera des Entertainment, in der die Giganten ihre unvergeßlichen Auftritte hatten. Joe Louis, Frank Sinatra, Air Jordan, Pavarotti, Muhammad Ali, die Navratilova... Marilyn Monroe: „Happy Birthday, Mr. President“, wehte ganz sacht von ganz weit her, wenn man nur bereit war, ganz genau hinzuhören. Ich saß mit meinem Bierbecher in dieser unglaublichen Halle und hatte – halten Sie mich ruhig für albern – feuchte Augen. Ich war einfach gerührt und dankbar, daß ich das sehen und erleben durfte.

Und dann kam Gretzky. Man muß ihn wirklich spielen sehen, um die Verehrung zu verstehen, die diesem Spieler entgegengebracht wird. Eishockey ist kein leichtes Spiel. Höchste athletische und taktische Anforderungen. Man muß Schlittschuhlaufen können wie der selige Hans Jürgen Bäumler und mit einem krummen Stock eine störrische Hartgummischeibe kontrollieren, während die härtesten und schnellsten 200 Pfund-Verteidiger der Welt versuchen, einen an die Bande zu rammen. Gretzky kann's... konnte es, muß man wohl sagen. Er konnte natürlich noch viel mehr. Er hatte eine überirdische Raumaufteilung, gepaart mit einem raubtierhaften Instinkt. Der auf nichts anderes als das schwarze, übers Eis torkelnde Ding gerichtet war. Den Puck. Ein Spieler, der nichts falsch zu machen schien. Und der dafür vom Publikum hymnisch verehrt wurde. Ein ansonsten sichtlich seriöser Herr drei Sitze neben mir brüllte sich ein ums andere Mal die Seele aus dem Leib: „Give the puck to Gretzky!“ und „Gretzky, mach mir ein Kind!“ Dieser sicherlich etwas unrealistische Wunsch verdeutlicht, daß Hockey-Fans „The Great One“ nahezu alles zugetraut haben.

Es ist vorbei, und eben deswegen hätte ich gerne einen Sohn (ich höre schon die oben erwähnten Damen mit einem kleinen Mund: „Wieso Sohn...? fragen), dem ich diese Geschichte eines Tages erzählen könnte. Er hätte sie natürlich schon oft gehört und würde mir trotzdem ständig damit in den Ohren liegen: „Papa, Papa, bitte noch mal die Geschichte von Gräzzi!“ Und ich würde so tun, als ob ich genervt wäre, es aber in Wahrheit genießen, noch mal – wenn auch nur in der Erinnerung – unter den 18.000 im Garden zu sitzen und ganz weit unten „The Great One“ übers Eis tigern zu sehen. Und dann würde ich mich um einen sonoren, der Sache angemessenen Tonfall bemühen und beginnen: „Also, nun paß mal auf, es ist schon ganz, ganz lange her, da war der Papa im riesengroßen Nuijork, und da begab es sich...