Stasi-Schlammschlacht in Warschau

■ Polens „Gauck-Behörde“ hat ihr erstes Opfer gefunden: Regierungschef Buzek

Warschau (taz) – Endlich haben wir es schön sauber“, kommentiert Adam Michnik süffisant den jüngsten Geheimdienstskandal in der polnischen Regierung. Der frühere Oppositionelle, der heute erbittert den „Wahnsinn“ einer Überprüfung von Politikern auf frühere Spitzeltätigkeiten bekämpft, zieht voller Häme über die „Enthusiasten der Durchleuchtung“ her.

Ins Zwielicht geraten ist in den letzten Tagen der Ministerpräsidient Polens. Jerzy Buzek, der seine politische Karriere als „Professor mit dem untadeligen Lebenslauf“ startete und im Oktober 1997 Regierungschef der Mitte-rechts-Koalition wurde, hat sämtliche Vorwürfe als „totale Lüge und Desinformation“ zurückgeweisen. Jedoch fordern seine Gegner seinen Rücktritt.

Wollte Buzek seine eigenen ethischen Ansprüche erfüllen, müßte er tatsächlich zurücktreten. Denn erst zehn Tage zuvor hatte die Politische Gruppe der Wahlaktion Solidarnosc (AWS) eine Erklärung verabschiedet, die den Rücktritt jeder Person forderte, auf die auch nur der leisteste Verdacht auf eine Spitzeltätigkeit für die Staatssicherheit falle. Erweise sich der Verdacht nach der Überprüfung aller Akten als unbegründet, könne die betreffende Person ihre Arbeit „in allen Ehren“ wiederaufnehmen. Mit dieser Selbstverpflichtung für alle AWS-Politiker wollte die Partei ausschließen, daß verdächigte Personen in hohe Staatsämter vorrücken können. In Wirklichkeit hebelten sie damit das Rechtsprinzip „im Zweifelsfall für den Angeklagten“aus. Die Ehrenerklärung entpuppt sich als Trojanisches Pferd: Mit ihr öffnete die Partei der üblen Nachrede Tür und Tor.

Prompt fand sich auch ein Abgeordneter, der seinen Schmutzfinger ausstreckte. Tomasz Karwowski war im Juli 1998 mitsamt der rechtsnationalen Partei Konföderation Unabhängiges Polen-Vaterland (KPN-O) aus dem Parteienbündis AWS ausgeschlossen worden. Der wegen Schlägerei, Trunkenheit am Steuer und übler Nachrede vorbestrafte Politiker behauptet, schon vor anderthalb Jahren vor Buzek gewarnt zu haben. Die Beweise habe er dem AWS-Vorsitzenden Krzaklewski übergeben. Dieser jedoch, ein enger Freund Buzeks aus den Untergrundzeiten der Gewerkschaft Solidarnosc Anfang der 80er Jahre, habe seine Warnungen in den Wind geschlagen. Erst jetzt, da es eine polnische „Gauck-Behörde“ gebe, konnte er Buzek und seine „Spitzeltätigkeit für die Geheimpolizei“ anzeigen.

Angeschlossen hat sich dem rechtsnationalen Politiker der Postkommunist Jan Sienko – nicht, weil er irgendwelche Beweise in der Hand hätte, sondern aus Prinzip: „Weder klage ich den Ministerpräsidenten an, noch verdächige ich ihn überhaupt. Ich will nur aufzeigen, wie das Durchleuchtungsgesetz zum politischen Kampf mißbraucht werden kann.“

Der „Sprecher des Öffentlichen Interesses“, der die Akten auf eine mögliche Zusammenarbeit Buzeks mit der Sicherheitspolizei überprüfen soll, wird ab sofort die Namen der Politiker und der hohen Beamten, die er zur Überpüfung an das Durchleuchtungsgericht weiterleitet, nicht mehr veröffentlichen. Damit ist die Selbstverpflichtung der AWS-Politiker, beim leistesten Verdacht einer Spitzeltätiglkeitkeit zurückzutreten, so lange gegenstandslos, bis der Fall endgültig geklärt ist. Sie wissen nun nicht mehr, wessen Akten weitergeleitet werden.

Auf die Idee, die Erklärung vom 12. April als politischen Fehler anzuerkennen und zurückzuziehen, ist die AWS bislang nicht gekommen. Vielmehr will sie nun den Ankläger Buzeks vor die Ethikkommission des Parlaments stellen. Die polnische „Gauck-Behörde“, die ihre Arbeit am 1. Januar aufgenommen hat, muß nun zeigen, daß sie sich nicht in politische Schlammschlachten hineinziehen läßt. Am „Fall Buzek“ wird sich entscheiden, ob Polen seine Stasi-Vergangenheit in den Griff bekommt oder ob Adam Michnik, für den das „Wahnsinn“ ist, recht behält. Gabriele Lesser