Clinton läßt die Leadership vermissen

■ Eine neue Rolle für die Europäer? Beim Nato-Gipfel in Washington dominiert eindeutig der britische Premier Tony Blair, US-Präsident Bill Clinton hält sich auffallend zurück

Wo ist die in Amerika vielbeschworene „Leadership“, die führende Rolle des amerikanischen Präsidenten, geblieben? Das fragten sich während des Nato-Gipfels nicht wenige der vielen Beobachter. Clinton scheint die Führung an Tony Blair abgetreten zu haben, der zum Wortführer einer offensiveren Kriegführung gegen Jugoslawien geworden ist. Der US-Präsident versteckt sich bei schwierigen Fragen gern hinter der Nato.

Ob es eine gute Idee gewesen sei, das serbische Fernsehen zu bombardieren, wird der Präsident zum Beispiel gefragt. Nun, sagt Clinton, „unsere militärischen Führer sind zu dem Ergebnis gekommen, daß es sich bei diesem Sender nicht um ein konventionelles Medium, sondern um eine Waffe im Krieg handelt. Sie haben die Bombardierung beschlossen, und ich habe die Entscheidung nicht revidiert“.

Nein, Clinton macht der Krieg um Kosovo ganz offensichtlich keinen Spaß. In den schlimmsten Tagen der Lewinsky-Krise hat er nicht so zurückhaltend gewirkt wie während der Nato-Tagung in Washington.

Auch die Meinungsumfragen sind dazu angetan, Clinton düster zu stimmen: Während der Impeachments dachten die Amerikaner besser von ihrem Präsidenten als jetzt, da der Bombenkrieg in den zweiten Monat geht.

Make love not war. Clinton hat allen Grund, bedrückt zu sein. Mit dem Krieg schwinden seine ohnehin geringen Aussichten, wenigstens einen Teil seines stark zurückgestutzten Sozialprogrammes durchzusetzen. In der ersten Amtszeit ist schon die große Krankenkassenreform gescheitert. Jetzt droht auch die Rentenreform in der Diskussion um amerikanische Interessen auf dem Balkan und um Bodentruppen unterzugehen. Sechs Milliarden Dollar mußte Clinton an Sondermitteln für die Kriegführung beantragen. Teile der Republikaner im Repräsentantenhaus würden gerne 23 Milliarden daraus machen, um damit den Haushalt des Pentagons aufzustocken. Damit überstiegen die militärischen Ausgaben die letztes Jahr in einem mühevollen Haushaltskompromiß ausgehandelten Ausgabenlimits. Und damit wiederum würde die ganze Debatte über Ausgabenprioritäten wieder von vorne beginnen.

Clinton gerät zudem zwischen Baum und Borke: Während die konkurrierenden republikanischen Präsidentschaftskandidaten wie John McCain und Elizabeth Dole sich durch die Befürwortung von Bodentruppen zu profilieren suchen, weiß Clinton, daß eine breitere Öffentlichkeit keinen Krieg will.

Clinton selbst kann diesen Krieg nicht wollen. Er hat viel zu verlieren und wenig zu gewinnen. Der Triumph seines Vorgängers George Bush nach dem Sieg im Golfkrieg war kurzlebig, das Gewicht des langjährigen und dennoch verlorenen Vietnamkriegs hängt noch heute dem Präsidenten Lyndon Baines Johnson an. Auch der hatte als Sozialreformer in die Geschichte eingehen wollen. Clinton aber droht als Verlierer an allen Fronten dazustehen. Setzt sich die Nato in der Auseinandersetzung mit Miloevic am Ende nicht durch, dann präsidiert Clinton über den Untergang der Nato. So gesehen hat Clinton nur eine Chance: Er muß die Initiative ergreifen und den Weg zum Erfolg weisen – es sei denn, er will den europäischen Nato-Verbündeten bedeuten, daß sie in einem europäischen Konflikt die Führung und Verantwortung übernehmen müssen. Das augenfälligste Ergebnis der Washingtoner Nato-Tagung: Nicht mehr der amerikanische Präsident führt die Allianz, mit 50 wird sie großjährig und fällt ihre Entscheidungen – der amerikanische Präsident ordnet sich unter.

Peter Tautfest, Washington