Drasković tanzt aus der Reihe

■ Jugoslawiens Vize kritisiert Milošević

Belgrad (dpa) – Erstmals seit Beginn des Kosovo-Krieges hat ein prominentes Mitglied der jugoslawischen Führung scharfe Kritik an der Politik von Staatspräsident Slobodan Milošević geübt. In einem Interview des normalerweise zensierten Belgrader Fernsehsenders Studio B warf der jugoslawische Vizeregierungschef Vuk Drasković der Führung vor, die Bevölkerung über den Konflikt mit der Nato zu belügen. „Dem Volk muß die Wahrheit gesagt werden, daß die Nato nicht vor der Niederlage steht, Rußland Jugoslawien nicht militärisch helfen wird und die Weltöffentlichkeit gegen uns ist. Die Leute, die diesen Staat führen, müssen klar sagen, was von Serbien nach weiteren 20 Tagen Bombenangriffen übrigbleiben wird.“ Namentlich nannte Drasković Präsident Milošević jedoch nicht.

Jugoslawien sollte einen Vorschlag der UN zur Stationierung von Friedenstruppen, der auch von Rußland unterstützt wird, annehmen. „Die UN sind keine Besatzer, die UN-Fahne ist für uns weder fremd noch besetzerisch“, sagte Drasković, Chef der monarchistischen Serbischen Erneuerungsbewegung SPO und früher ein Sprecher der Opposition. Drasković sprach auch von den „unermeßlichen“ Schäden der Nato-Angriffe und von sehr vielen Flüchtlingen in Serbien. Er warf der Nato vor, das ganze serbische Volk als Zielschiebe zu betrachten. Über die Äußerungen des Vizeregierungschefs wurde in den Staatsmedien bis zum frühen Montag nachmittag nicht berichtet. Ein jugoslawischer Regierungssprecher sagte im britischen Rundfunksender BBC, Drasković habe nicht Präsident Milošević, sondern die Nato kritisiert.

Vertreter der rot-grünen Koalition in Bonn reagierten gestern positiv auf die Äußerungen Drasković'. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler, sagte der taz, dies sei der „erste Beleg dafür, daß die Geschlossenheit in Serbien Auflösungserscheinungen zeigt“. Der Weg, den der russische Kosovo-Vermittler Wiktor Tschernomyrdin eingeschlagen habe, müsse fortgesetzt werden. Auch die grüne Fraktionssprecherin Kerstin Müller sprach von einem optimistischen Zeichen: „Man kann Hoffnung schöpfen. Möglicherweise bewegt sich in Serbien nun etwas.“

Der britische Premierminister Tony Blair wertete die Aussagen von Drasković als Hinweis für „bestehende Spannungen“ in der Belgrader Führung. Er warnte im US-Fernsehsender ABC aber vor vorschnellen Schlüssen hinsichtlich der Machtbasis von Milošević. Bericht Seite 2