Nicht morden!

■ Die neue deutsche Lockerneß im Umgang mit der Schuld

Das vom Berliner Theologen Richard Schröder angeregte Holocaust-Mahnmal soll in seinem Zentrum die beiden Worte „Nicht morden!“ führen. In diesem, dem Dekalog entstammenden fünften Gebot, sieht Schröder die geeignete Mahnung. Geschrieben in großen hebräischen Lettern und dazu, etwas kleiner, in den Sprachen aller Opfer (also Deutsch inklusive), sagt diese Mahnung seiner Meinung nach mehr als alle Stelen. Etliche wichtige Fürsprecher teilen mittlerweile seine Ansicht.

Ganz anders sehen das natürlich Schröders Kritiker. Eine Mahnung in Hebräisch und den Opfersprachen ermahne nun mal nicht vorrangig die Nachgeborenen der Täter, sondern eher die Nachkommen der Ermordeten. Nicht morden, Jude! Nicht morden, Sinto! Nicht morden, Pole! So haue man es doch den Opfern in ihren Sprachen und quasi in Mahnmalsgröße um die Ohren. Das aber ist nicht nur schwer unlogisch, sondern grob mißdeutlich und irgendwie auch ziemlich geschmacklos, meinen die Kritiker. Und überhaupt: Der Tod ist immer noch ein Meister aus Deutschland.

„Eben“, hört man da manchen Deutschen stolz erwidern. „Der Tod ist in der Tat ein deutscher Meister und bestimmt keiner aus irgendeinem anderen dahergelaufenen Land.“ Und fährt dann eher locker fort: „Ja gut, wir Deutschen haben damals gemordet, und das war sicher nicht so ganz okay. Aber nur aus Fehlern wird man doch klug. Das ist wie mit jenem Kind, das sich erst die Finger verbrennen muß. Wir Deutschen sind dieses Kind, das sich stellvertretend für die übrige Welt die Finger verbrannt hat. Und wissen Sie, heute müssen wir sogar ein Stück weit stolz darauf sein, daß wir Deutsche das waren, die gemordet haben. Denn nur deshalb, weil wir damals mordeten, können wir ja heute die sein, die die anderen ermahnen, besser nicht zu morden.“

Ja, auch so könnte Richard Schröders Mahnmal, so es denn verwirklicht wird, begriffen werden. Zu sehr füttert es in seiner Uneindeutigkeit jene neue deutsche Lockerneß im Umgang mit der Schuld, die in etwa so lautet: Schuld haben, okay, aber nicht länger drunter leiden. Statt dessen: Schuld offensiv angehen, Verantwortung zeigen und sie übernehmen, und zwar erst mal für andere, indem man sie zum Beispiel mahnend davor bewahrt, wie einst man selbst zum Täter zu werden. Ja, so macht Schuldhaben am Ende sogar Spaß.

Doch nicht nur deshalb sagen immer mehr Deutsche „ja“ zu Richard Schröders Vorschlag. Viele unterstützen ihn, weil „sein“ Mahnmal, wie man nicht vergessen hat hervorzuheben, weit weniger Platz beansprucht als etwa der Eiserman-Entwurf. Doch warum sollte man überhaupt mit einem in Stein gehauenen, in Blei gegossenen, aus Neonrohr oder was auch immer geformten Mahnmal wertvollen Berliner Hauptstadtraum verschwenden?

Die Hamburger Werbeagentur JJ & J regte jetzt an, das plakative „Nicht morden!“ zu einem geschützten Markenzeichen zu machen. So könnte man die Schrödersche Botschaft, gegen eine angemessene Lizenzgebühr, versteht sich, auf T-Shirts, Tetra-Paks, Einkaufstüten oder sonstige Multiplikatoren drucken lassen und auf diese Weise in den Alltag der Menschen gewissermaßen hineinstreuen. Ein ausstreuendes Mahnmal hätte man dann sozusagen, ein Mahnmal ohne festen Standort, das, preiswert und lukrativ zugleich, auch als „Nicht morden“-Autoaufkleber, -Anstecker oder -Mantelkragenbutton denkbar wäre, billig obendrein in Gefängniswerkstätten herzustellen und dort, wie man seinen späteren Nutzern per Zertifikat garantieren müßte, ausschließlich von echten Mördern gefertigt.

Die kommerzielle Verwertung der „Nicht morden!“-Lizenz obläge natürlich, wie die Werber vorschlagen, dem Zentralverband der Juden. Der findet für die Einnahmen aus dem Lizenzverkauf sicher eine gute Verwendung. Die Reklameleute selbst versprechen, alles zu tun, um die „Nicht morden“-Trademark zu einem auch gerade für Jugendliche unverzichtbar modisch-kultischen und damit einträglichen Accessoire zu machen. Daß das klappen kann, zeigt das Verhalten der Werber selbst. Sie grüßen sich intern neuerdings statt mit „Guten Morgen“ mit einem coolen „Nicht morden!“ So sehr verinnerlicht hat man auf diese Weise bereits die mahnende Botschaft, daß als Grußform auch schon mal die lässige Abkürzung von „Nicht morden“ Verwendung findet, nämlich ein analog zum saloppen „Morgen!“ knapp dahingeworfenes „Morden!“

Natürlich ist das, wie überhaupt die ganze Sache mit den Werbefritzen und der Lizenz nicht wahr und völlig frei erfunden. Falls Sie's dennoch geglaubt haben, keine Sorge: Es bedeutet nur, daß auch Sie offenbar schon reif sind für die neue deutsche Lockerneß im Umgang mit der Schuld. In diesem Sinne: Nicht morden! Fritz Tietz