Flagschiffkapitän im Star-Tal

Auch die gute alte „Bravo“ hat mit dem Desinteresse der Leser zu kämpfen. Der neue Chefredakteur Jürgen Stollberg will der Flaute mit Seriosität begegnen  ■  Von Arno Frank

Wenn wir uns den deutschen Jugendjournalismus als Regatta vorstellen, dann treibt da in schwerer See kieloben das Wrack von Poprocky – eingestellt, aber noch nicht untergegangen, nein, aufgegangen in Popcorn, das seinerseits bereits kräftig Wasser schöpft. Mit starker Schlagseite dümpelt auch Hit! dahin. Wohin man schaut, die sinkenden Auflagen der Jugendtitel treiben die Besatzungen allenthalben in die Rettungsboote. Kaum anders sieht's auf dem Flagschiff der Branche aus, bei Bravo.

Eine mehr als veritable Flaute macht dem Heft aus dem Heinrich-Bauer-Verlag zu schaffen. Auch hier bläht kein frischer Wind die Segel, hängt die Takelage schlaff: 417.000 Hefte weniger hat das Blatt im Vergleich zum Vorjahr verloren. Das ist bei einer derzeitigen Auflage von knapp 850.000 ein sattes Drittel der Leserschaft – und ein Problem, das einen findigen Navigator verlangt.

Die Kommandobrücke des Flagschiffs ist ein großzügiges Eckbüro im achten Stock eines sachlichen Bürokomplexes im schmucklosen Münchner Stadtteil Neuperlach. An den Wänden hängen goldgerahmt legendäre Faksimiles besserer Tage: Elvis, die Beatles, jaja. Von hier überschaut der Kapitän seine Fahrrinne, blickt der Chefredakteur auf endlose Reihen klotziger Mietwohnungen und ein Meer aus Antennen. Und was sieht Jürgen Stollberg? „Starberge und Startäler“, sieht er, der Chefredakteur von Bravo, und illustriert seine Sicht der Dinge mit einer wellenförmigen Handbewegung. Gibt eben keine Stars mehr.

Vom Medienmann 97 mit eigenem Parkschildchen ...

Der hochgewachsene Widder-Boy (37) im silbergrauen Einreiher leitet seit Mitte Februar die Geschicke der größten Jugendzeitschrift nicht Deutschlands, nicht Europas, sondern der Welt. Zuvor war Stollberg Polizeireporter, dann Redaktionsleiter der Morgenpost in Chemnitz, später Ressortchef „Aktuelles“ bei der Bunten. Dort schmückte ihn bald die interne Auszeichnung „Medienmann 97“, das ihm in der Burda-Tiefgarage ein eigenes Parkplatzschildchen bescherte, galt aber eher als „farblos“ und mochte sich mit der neuen Bunte-Chefin Patricia Riekel nicht recht anfreunden. 1998 wechselte er zum Heinrich-Bauer-Verlag, wo er für Viva am neuen Musikmagazin Comet mikonzeptionierte. Dort trennte man sich gerade von Gerald Büchelmaier (48), der zuletzt Bravo, Bravo Sport und Bravo Girl befehligte. Bei den anschließenden Diadochenkämpfen obsiegte Stollberg.

Und jetzt das: keine Stars mehr. Da kommt ein Stollberg gerade recht, wo er doch rein äußerlich fast in eine Boyband passen würde. Allüren freilich gestattet er sich keine, redet vielmehr tastend,zögernd. Ob er die Bravo denn als Kind gekauft habe? „Ich habe sie als Jugendlicher gelesen“, weicht er aus. Spielte Gitarre in einer Band und hörte Sweet, Slade oder die Bay City Rollers. Damals, als Jugendlicher im Chiemgau. Erst seine Arbeit in der Comet-Entwicklungsredaktion machte ihn mit Blur, Radioheads und dem britischen Musikmarkt vertraut. Bei der Präsentation des neuen Objekts auf der PopKomm 98, stand er noch neben Viva-Chef Dieter Gorny und erklärte: „Es stört mich immer, wenn ich Musikmagazine durchblättere und keinen der Künstler kenne!“

Stollberg schüttelt den gesenkten Kopf und federt zum Wandschrank, um einen Stapel Hefte zu holen: „In der Bravo kommt Musik nur insoweit vor, wie sie auch im Leben unserer Leser stattfindet. Nach Take That, den Kellys oder den Backstreet Boys ist nichts mehr nachgekommen. Aber Bravo war nie ein Blatt, das sich nur über die Stars definiert und verkauft hat. Bravo ist ein guter Freund in allen Lebenslagen, ein Ratgeber auch da, wo die Familie versagt. Dort können wir ansetzen.“

... zum Themensucher mit verhaltenem Optimismus

Auch wenn die Leserzahl Ende letzten Jahres erstmalig unter die magische Million gesunken ist, gestattet er sich mit Blick auf die verbliebenen KäuferInnen weiterhin einen verhaltenen Optimismus und weist blätternd Wege aus dem Dilemma: Daß 2Pac Shakur alleine nicht mehr zieht, weswegen eben die Tattoos des erschossenen Rappers erklärt werden; daß die Zielgruppe schon alles über Blümchen weiß, weswegen die Redaktion dem Mädel einen Fallschirmsprung schenkt – und sie zwischen den Wolken knipst, im freien Fall. „Im Gegensatz zu anderen Magazinen, die den Stars hinterherlaufen ...“, sagt Stollberg, überlegt kurz, was der Gegensatz wäre und fährt vorsichtig fort: „... geschieht bei uns die Nähe zu den Stars auf eine faire, kollegiale Art.“

Weil also die Stars der Bravo die Tür einrennen, weist Stollberg ein wenig weihevoll darauf hin, daß „Bravo das Medienbild und die künftige Medienwahl von Jugendlichen“ beeinflusse. Das klingt recht staatstragend. Aber hat sich das Blatt denn nicht gerade als publizistisches Scharnier zwischen dem glitzendern Pop- Soap- und Tamponbusineß und der konsumfreudigen Jugend etabliert? Und wie bringt man einen Klassiker dazu, den Kurs zu wechseln? Genügt das Momentum des Mythos, um die Untiefen des Marktes einfach auszusitzen?

Stollberg jedenfalls ist mit der ehrbaren Maxime angetreten, daß „im Blatt nichts stehen wird, was unwahr ist“. Auf Bewährtes wie Foto-Lovestory, Dr.-Sommer-Team („Mein Penis ist nur zwölf Zentimeter lang“) oder „Liebe, Sex und Zärtlichkeit“ („Mein Penis sieht anders aus“) will er nicht verzichten: „Darüber amüsieren sich auch noch ältere Leser.“ Wie über die obligatorische Frage: Herr Stollberg, wie war Ihr erstes Mal? „Wir haben, wenn wir diese Frage stellen, ein eisernes Gebot: Die Künstler können die Frage auch ablehnen und sagen: 'Mein erstes Mal war ganz privat‘.“ Wie gesagt: keine Stars mehr.