Ideenwettbewerb für eine „lebendige CDU“

Kaum Neues auf dem Parteitag der Christdemokraten. Streit um Antrag gegen Verbeamtung der Professoren    ■ Aus Erfurt Nick Reimer

Mitten in Erfurt steht ein Monitor. Ein Riesending. Auf der Mattscheibe ist Heiner Geißler zu sehen. Er gestikuliert heftig. Es ist Parteitag in Thüringens Landeshauptstadt, und das Volk soll etwas davon haben. Live überträgt die CDU das Geschehen von dem futuristischen Messegelände ins Stadtzentrum – also mitten ins Leben. Dort interessiert sich kaum jemand fürs CDU-Fernsehen.

Der gestern zu Ende gegangene 12. Bundesparteitag der CDU sollte einen programmatischen Aufbruch schaffen. Mit den „Erfurter Leitsätzen“ sollte endlich der notwendige Schub ausgelöst werden, der der Parteispitze bislang nicht gelang. „Mitten im Leben“ – so lautete das Parteitagsmotto.

Doch schon in seiner Eröffnungsrede bremste Parteichef Wolfgang Schäuble übertriebenen Optimismus. „Wir haben das politische Koordinatensystem unserer politischen Grundüberzeugung nicht verschoben und dennoch die Botschaft der Wähler verstanden“, probte Schäuble den Spagat. Er vermied Reibungsflächen, seine Rede hätte genausogut vor sechs Wochen gehalten werden können. Der Beifall blieb höflich.

„Mitten im Leben“ will die CDU schon seit Jahresanfang sein.– damals hatte CDU-Generalsekretärin Angela Merkel einen Ideenwettbewerb ausgerufen, um Einblicke „in die lebendige CDU-Arbeit zu gewinnen“. Merkel zelebriert auf dem Parteitagspodium über eine halbe Stunde lang die Siegerehrung des Ideenwettbewerbs.

Ein Thüringer Ortsverband wird Sieger, weil er einen Sponsorenvertrag für die Aufforstung von 30 Hektar Wald an einer Autobahn besorgt. Ein Bonner Abgeordneter hat einen „Mitmachzirkus“ für Kinder geschaffen, ein Pfälzer Stadtverband machte aus einem leerstehenden Ladenlokal ein Kommunalwahlkampfbüro mit Krabbelecke und Computer, ein norddeutscher Kreisverband gibt kostenlose Hausaufgabenhilfe für Migrationskinder. Die christdemokratische Nabelschau sorgt bei einigen Delegierten für Verärgerung. „Das ist wie bei ,Unser Dorf soll schöner werden' “, mäkelt einer.

Der Wind, der der Opposition derzeit entgegenbläst, läßt kaum zu, daß die Union eigene Segel setzt. Erst kam den Christdemokraten der Lieblingsbuhmann Oskar Lafontaine abhanden. Dann kam der Krieg. „Wir dürfen nicht zulassen, daß das Kosovo die Fehlleistungen der Bundesregierungen überdeckt“, ruft CSU-Chef Edmund Stoiber in seinem Grußwort gestern die Delegierten zur Schärfung des eigenen Profils auf. Stoiber träumt unter frenetischem Beifall seinen Traum, daß nach den sieben erfolgreichen Wahlen in diesem Jahr „im nächsten mit Rühe und Rüttgers zwei weitere christdemokratische Ministerpräsidenten folgen“. Die Regierungsbänke hätten dann wieder „attraktive Köpfe, in denen auch was Attraktives drin steckt“.

Überhaupt Stoiber. Selten haben die Beobachter einen so flauen CDU-Parteitag erlebt. Da wirktdie rhetorisch geschliffene, polemisch scharfe Rede des bayerischen Ministerpräsidenten wie ein Aufputschmittel. Ausgerechnet Stoiber – nicht Schäuble – verschafft dem Parteitag den nahezu einzigen Höhepunkt. Als Gewinnerin dürfte sich auch Angela Merkel fühlen. Noch Stunden nach ihrem Bericht beglückwünschen sie Redner und Delegierte. Da waren Schäubles Worte schon längst verhallt.

In den „Erfurter Leitsätzen“ – die zur Richtschnur der Partei bis zum Jahre 2002 werden sollen – bleibt vieles unscharf, unverbindlich. Die brisantesten Themen, etwa das von der CDA angestrebte Erziehungsgehalt, bleiben unberücksichtigt.

Wie schwierig der Aufbruch ins Morgen ist, macht die CDU mit den kleinen Wörtchen „auch“ und „ausschließlich“ deutlich. „Wir wollen, daß Professuren künftig auf Zeit vergeben und Hochschullehrer nicht mehr als Beamte eingestellt werden“, wollen beispielsweise 30 Abgeordnete in den Leitsätzen festgeschrieben wissen. Das ging der Antragskommission zu weit, die ihrerseits vorschlug, im Text vor „auf Zeit“ ein „auch“ und hinter „nicht mehr“ ein „ausschließlich“ einzufügen.

Daran entflammt am späten Montag dann tatsächlich noch eine der beschworenen Debatten. Befürworter des „Aber“-und-,,ausschließlich“-Textes argumentieren, man dürfe das Hochschulpersonal nicht verprellen. Kritiker wenden ein, daß schon 1993 in einem bildungspolitischen Programm mehr Flexibilität in den Anstellungsverhältnissen von Professoren beschlossen worden war und der ergänzte Text dahinter zurückbliebe. Nach halbstündiger Debatte ergreift schließlich Angela Merkel das Wort, um für den Text der Antragskommission zu werben. Der Parteitag folgt ihr.

Die „Erfurter Leitsätze“ – ein „Aufbruch 1999“? „Erfurt kann ein Signal sein, zu zeigen: Wir haben die richtige Tagesordnung“, so Hessens Ministerpräsident Roland Koch. CDU-Vize Christian Wulff möchte sich drastischer ausdrükken: „Wir haben erst einmal die Themen der Zukunft bestimmt.“