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Realpolitik ohne Alternative?

Auf der TOP-Messe in Düsseldorf wurde ich mehrfach gefragt, was die Berliner FrauenfrAKTION gegen den Krieg macht. Ich war erstaunt, daß sich seit dem letzten bellizistischen Spektakel mit dem Irak noch so viele an unsere damalige Unterstützung für „SCHEHERAZADE“ und die Idee des Weltfrauensicherheitsrates erinnern konnten. Feministisch angefragt, wissen wir auch nicht weiter, denn die Eskalation dieses Krieges entzieht sich der damaligen „Öl für Krieg“-Kritik. Aber auch diesmal geht es nicht um das Hehre der universalen Menschenrechte, denn ginge es darum wirklich, dann müßten die meisten ihre Geographie- und Sozialkundekenntnisse zugunsten einer Umverteilung aktualisieren, die ganz andere Konsequenzen verlangt. Doch davon ist nirgendwo eine Rede. Moral (?) wird von denen bemüht, die politisch nichts anderes als Realpolitik im Schilde führen. Und politökonomisch jubelt die Rüstungsindustrie, und deren realpolitische Repräsentanz ringt um Verstand. Wer das auszubaden hat, zeigen alltäglich die Bilder der flüchtenden Kosovo-Menschen. In Serbien und Kosovo sterben die Zivilisten den Tod der „technischen Intelligenz“. Die Folgen sind unabsehbar. Aber hätte man denn zugucken dürfen, wie Slobodan Milošević seinen Wahn von „serbischer Reinheit“ durchsetzt, fragen die zum Krieg Bereiten. Natürlich nicht, ist die klare Antwort. Doch dafür bräuchte es eine Politik, die sich für Alternativen zur Realpolitik kundig gemacht hätte und die Milliarden von Dollars und DM in Menschen und nicht in Maschinen zu investieren bereit ist.

Die Grünen in Regierungsverantwortung mit der SPD, vor allem ihr Außenminister Joschka Fischer, haben nicht nur schmählich versagt. Seine markige Hau-drauf-Unverschämtheit gegenüber Gregor Gysi im Bundestag war nichts anderes als eine Bankrotterklärung grüner Politik. Nun hat er gleich zu Anfang versprochen, deutsche anstatt grüne Außenpolitik zu betreiben. Seiner allgemeinen Beliebtheit ist das sehr zuträglich, wie die Umfragen zeigen. Zweck-Militarismus zahlt sich doch besser aus als Zweck-Pazifismus, wie man an seinem Beispiel sieht. Und deswegen schlage ich vor, ihn und seine Adepten in allen Ehren deutsch zur SPD-CDU-Mitte zu entlassen. Warum? Die Grünen haben nur noch eine geringer werdende Chance, sich zu befähigen, wieder Alternativen jenseits der desaströsen Realpolitik zu entwickeln. Ansonsten hat es sich für die Grünen ausgegrünt. Halina Bendkowski

[...] Ich empfinde die Bezeichnung „Hitler“ als inflationär und das ganze Geschwafel vom Einsatz für die Menschenrechte im Kosovo als verlogene Scheiße. Den Armeniern verweigert man hier in Deutschland die um Jahrzehnte überfällige Anerkennung des armenischen Genozids als ersten Völkermord dieses Jahrhunderts mit u.a. der Begründung, durch diese Anerkennung könne der Holocaust an Bedeu- tung verlieren. (Die Wahrheit ist, man will keinen Ärger mit der Türkei haben.) Und jetzt benutzt man den Hitler-Vergleich als Rechtfertigung für einen Angriffskrieg und als Mittel, Kritiker vornweg mundtot zu machen. Ist das dann keine Herabsetzung des Holocaust mehr?

Die 50jährige Nato will zur Erbin der UN werden. Wilsons Traum eines Völkerbundes nähert sich ein zweites Mal seinem Ende. Oder warum hat die Nato angegriffen? Menschenrechte? Vertreibungen? Ach nee! Die Nato unterstützt massiv den Völkermord an den Kurden, läßt sich zur weiteren Verhärtung der Fronten um Berg-Karabach (Arzach) durch einen angebotenen Luftwaffenstützpunkt in Aserbaidschan kaufen usw. usf. Wo man nur hinschaut, wir verkaufen die Werte der Neuzeit (Menschenrechte, Frieden, Freiheit) für amerikanischen Größenwahn. Wo eigentlich hat der Weltsheriff noch nicht gezündelt? [...] Silvana Beer, Hildesheim

betr.: „Ich habe keine Chance“, Interview mit U. Ranke-Heinemann, taz vom 25./24. 4. 99

Alle Achtung vor der Meinung und Haltung von Frau Heinemann! [...] Meine Meinung zum Kosovo-Krieg: Solange es nicht möglich ist, Waffenproduktion und -distribution, die weitgehend aus kriminellen und mafiösen Strukturen stammen und ganze Regierungscliquen fest in der Hand haben, zu stoppen, wird es in der ach so fortschrittlich beschworenen Welt am Ende des 20. Jahrhunderts noch düsterer werden. Die vielbewunderte Technik, die Kriegstechnik allemal, wird uns nie und nimmer in eine menschliche Zukunft führen. Da kann man noch so laut anklagen (z.B. Scharping, der bis ins Detail von den aufgeschlitzten Bäuchen der Schwangeren erzählen kann), daß zum Beispiel Gysi bei seinen Analysen nicht auf die „humanitäre“ Katastrophe eingeht: Eine Hintergrundanalyse tut trotz oder gerade wegen des menschlichen Elends und Leids bitter not! Klaus Markert, Planegg

betr.: Jugoslawienkrieg und „Luftnummer“, Kommentar von Barbara Oertel, taz vom 24./25. 4. 99

Vor zwei Jahren wurde Milošević als Stoffpuppe im Sträflingsanzug durch Belgrad getragen, seine Position war so schwach wie nie. Heute ist sie unangefochten: Die Nato hat in wenigen Tagen das geschafft, was Milošević in zehn Jahren nicht gelungen ist: Sie hat die antifaschistische Opposition in Jugoslawien weggebombt. In dieser Situation erwartet nun Barbara Oertel in ihrem Kommentar „Luftnummer“, daß sich „dann noch zumindest bei einigen Serben ein regimekritisches Bewußtsein einstellt, da die zerstörten Propagandasender verstummen“. Wieviel Zynismus ist eigentlich notwendig, diesen für mehrere Menschen tödlichen Angriff auf einen Sender, der nach drei Stunden wieder am Netz war, als Erfolg zu werten, nachdem das tatsächlich regimekritische Radio B92 – zu Kriegsbeginn von den Herrschenden geschlossen – wohl nie wieder auf Sendung gehen wird?

Und selbst wenn dieser Krieg – wobei niemand eine Idee hat, wie das passieren soll – zu einem Ende der Herrschaft Milošević' führen soll: Demokratie wird es auf absehbare Zeit weder in (Rest-)Serbien noch im Kosovo – und wahrscheinlich auch in Montenegro – mehr geben. Das Ergebnis dieses Krieges werden – ganz in der von Kohl und Genscher begonnenen völkischen Logik – kleine, „ethnisch saubere“ feudalistische Protektorate auf dem Balkan sein. Der Preis hingegen ist neben vielen Toten ein neuer Kalter Krieg, eine gedemütigte UNO, eine zerschlagene Friedensbewegung in Europa, ein Ermuntern aller militanten nationalistischen Separatisten und eine neue Ära ungefragten militärischen Drauflosschlagens. Johannes Weigel, Hannover

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die auf dieser Seite erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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