Krieg gefährdet Einheit der Arbeiterklasse

Darf Verteidigungsminister Scharping auf einer Maikundgebung auftreten? Die Frage entzweit Gewerkschafter und verdeutlicht den Zwist im DGB um eine gemeinsame Kosovo-Linie  ■   Aus Hannover Jürgen Voges

„Die Maikundgebungen waren traditionell auch immer Anti-Kriegs-Kundgebungen“, sagt Alfred Hub, Geschäftsführer der Bezirksverwaltung Pfalz der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV). Daß nun auf der Kundgebung in seiner Heimatstadt Ludwigshafen mit Rudolf Scharping ein „kriegführender Bundesverteidigungsminister“ sprechen soll, ist für den Gewerkschafter ein glatter Verstoß gegen das DGB-Grundsatzprogramm.

„Der Krieg im Kosovo wird auf den Maikundgebungen sicher eine große Rolle spielen“, meint auch DGB-Pressesprecher Bernhard Schulz. Den Konflikt in der Pfalz um Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping sieht Schulz aber noch als einen Einzelfall.

In Ludwigshafen hatte die HBV vor 14 Tagen auf einer DGB-Kreisvorstandssitzung beantragt, den schon seit Januar als Redner auf der Maikundgebung vorgesehenen Minister noch kurzfristig wieder auszuladen. Die Beteiligung der Bundesrepublik an den Nato-Kampfeinsätzen in Jugoslawien sei innerhalb der Gewerkschaft stark umstritten, und bei einem Auftritt von Scharping auf der Maiveranstaltung in Ludwigshafen könne es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern des Krieges kommen, begründete HBV-Bezirksgeschäftsführer Hub seinen Antrag. Der DGB-Kreisvorstand stimmte einmütig zu. Postwendend untersagte allerdings der DGB-Landesbezirk seiner Kreisorganisation, Scharping tatsächlich auszuladen. Die HBV-Bezirksverwaltung Pfalz rief daraufhin ihre Mitglieder auf, nicht an der Maikundgebung mit Scharping, sondern an anderen Maiveranstaltungen außerhalb Ludwigshafens teilzunehmen.

„Der Konflikt um den Kosovo-Krieg durchzieht die Gewerkschaften eben genauso wie die gesamte Gesellschaft“, sagt DGB-Sprecher Schulz. In der kommenden Woche werde sich der DGB-Bundesvorstand noch einmal mit dem Krieg befassen, kündigt Schulz an. Eine klare Linie, etwa die Forderung nach einem sofortigen Stopp der Nato-Angriffe, sei allerdings von der Vorstandssitzung nicht zu erwarten.

Der DGB-Bundesvorstand hatte sich bereits Anfang April faktisch hinter die Politik der Bundesregierung gestellt. Die Gewerkschaftsoberen verlangten in einer Erklärung von der Regierung zwar, „in der Nato dafür zu werben, gemeinsam mit der UN und der OSZE Initiativen für eine diplomatische Lösung des Kosovo-Konflikts zu ergreifen“. Angesichts der ethnischen Säuberungen und Massenmorde im Kosovo respektiere der DGB aber den Beschluß des Bundestages, „durch den Einsatz von Streitkräften Verhandlungsergebnisse zu erzwingen“.

Von vier Einzelgewerkschaften wird inzwischen diese Linie des DGB-Bundesvorstandes nicht oder nicht mehr mitgetragen. Die Vorstände von GEW, IG Medien, HBV und der Gewerkschaft Holz und Kunststoff verlangen einen sofortigen Stopp der Nato-Luftangriffe. Der HBV-Hauptvorstand hat sich etwa am vergangenen Mittwoch für „das sofortige Ende des Bombardements auf Jugoslawien“ und die „Rückkehr an den Verhandlungstisch“ ausgesprochen. Die HBV-Vorsitzende Margret Mönig-Raane, für die „militärische Lösungen stets Scheinlösungen sind“, gehört gemeinsam mit dem Vorsitzenden der IG Medien, Detlef Hensche, zu den Unterzeichnern einer Erklärung von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern gegen den Krieg in Jugoslawien. Darin werden unter der Überschrift „Nato-Angriffe sofort beenden“ die Bombardements als „völkerrechtswidrig“ und als faktische Stärkung des revanchistischen Miloevic-Regimes verurteilt. Die Angriffe hätten deutlich gemacht, daß „militärische Mittel soziale und ethnische Konflikte nur verschärfen und keine Beitrag zu einer humanen Beendigung der Auseinandersetzung sind“, heißt es in der Erklärung, die inzwischen von mehreren tausend Gewerkschaftern unterzeichnet wurde.

Als „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ und „Verstoß gegen die UN-Charta“ sieht auch die IG-Metall-Jugend die Nato-Bombardements. Die IG Metall selbst, die größte DGB-Gewerkschaft, hat sich allerdings mit offener Kritik an den Bombardements bisher zurückgehalten. Der Vorstand der Gewerkschaft verlangte am vergangenen Mittwoch zwar von der Bundesregierung, „sich mit allem Nachdruck innerhalb der EU und der Nato für eine Einstellung des Luftkrieges“ einzusetzen – als Auftakt für eine „erneute Initiative zur Beilegung des Kosovo-Krieges unter Federführung der UNO“ sowie mit der Beteiligung Rußlands. Der IG-Vorstand registrierte „mit Abscheu und Entsetzen die andauernde ethnische Säuberung des Kosovo“. Der Vorstand glaubt zugleich, „daß durch die Anwendung militärischer Gewalt von seiten der Nato-Truppen die humanitäre Katastrophe nicht abgewendet oder beendet worden ist“. Verurteilt hat der IG-Metall-Vorstand die Angriffe allerdings keineswegs. Gleichzeitig haben sich im Internet-Forum, das die IG Metall eigens zum Kosovo eingerichtet hat, bisher nur wenige Befürworter der Angriffe und viele Kritiker zu Wort gemeldet. Die Kritiker können sich dabei auch auf das DGB-Grundsatzprogramm berufen, das bei sozialen, ökonomischen oder ökologischen Konflikten eine zivile Lösung „ohne militärische Gewalt“ verlangt.