Bewaffnet auf Kundenfang

Gegen alle Stereotypen: Das 3001-Kino zeigt die grandiose Gesellschaftskomödie Die fünfte Jahreszeit des iranischen Regisseurs Rafi Pitts  ■ Von Malte Hagener

Erinnert sich eigentlich noch jemand an den Kleinkrieg der Hamburger Busunternehmer, an zerstochene Reifen vor den Landungsbrücken und an Handgemenge auf dem Rathausmarkt? Solch hübsche Geschichten erfindet der Kapitalismus und dazu auch gleich ein ebenso hüsches Motto, nämlich „Konkurrenz belebt das Geschäft“. Auch in Rafi Pitts' iranischer Gesellschaftskomödie Die fünfte Jahreszeit gibt es zwei identische Busse, die identische Dienstleistungen anbieten, zerstörte Reifen und einen Preiskrieg, der schließlich in einer Wettfahrt mit Massenkeilerei gipfelt. Dies beweist wiederum nur, daß kapitalistische Mechanismen im iranischen Hochland nicht anders als im Hamburger Tourismusgeschäft funktionieren.

Und doch ist die Ausgangslage eine ganz andere: Die seit ewigen Zeiten schwelende Familienfehde zwischen den Familien Jamalvandi und Kamalvandi, die bis in Nomadenzeiten zurückreicht und deren Gründe niemand mehr erinnert, soll durch eine Hochzeit ausgesöhnt werden. Nachdem dann aber der Bräutigam Karamat Beleidigungen in Richtung der Jamalvandis ausstößt und die Braut Mehrbanou verkündet, sie habe den ältesten Kamalvandi-Sohn ohnehin nur heiraten wollen, um ihm das Leben zur Hölle zu machen, stirbt der Patriarch der Jamalvandis vor Aufregung einen plötzlich Herztod.

Die alte Fehde zwischen den Clans, die sich ohnehin nur durch einen Buchstaben unterscheiden, flammt wieder auf. Karamat investiert in einen alten Bus, mit dem er die Dorfbewohner in die Stadt fährt, auch die der feindlichen Sippe – gegen entsprechende Bezahlung, versteht sich. Mit vorgehaltem Gewehr zwingt Mehrbanou ihre Verwandten aus dem Bus auszusteigen und schafft einen konkurrierenden Bus an, der dem anderen bis aufs Haar gleicht. Konkurrenz belebt hier das Geschäft im wahrsten Sinne des Wortes, so daß der zwielichtige Finanzier und der hilflose Bürgermeister nur haareraufend zuschauen können.

Die fünfte Jahreszeit bricht nicht nur mit zahlreichen Stereotypen, sondern auch mit dem Image, das sich Filme aus diesem Land in den letzten Jahren im Westen geschaffen haben. Jenseits von Kiarostamis und Makhmalbafs dokumentarischen Fiktionen, in denen die Realität des Filmemachens immer wieder in die dargestellte Realität eindringen, zeigt diese Komödie einen Dorfkosmos, an dem die reaktionäre Moderne der Ajatollahs spurlos vorübergegangen ist.

So ungeschoren wie das Dorf aus der islamischen Revolution kam, gingen die staatlichen Zensurstellen an der lebensfrohen Geschichte nicht vorbei. Nach einer erfolgreichen Startwoche wurde der Film im Iran aufgrund der „völlig ungehörig“ agierenden Heldin aus dem Verkehr gezogen: Einmal kniet die unverheiratete Frau neben einem schlafenden Mann, ein anderes Mal ist ihr Gesicht ohne Kopftuch in Großaufnahme zu sehen. „Erotisch freizügig“ seien diese Szenen, so die offizielle Begründung, die westliche Zuschauer gelinde gesagt erstaunt zurückläßt ob soviel subtilem Gespür.

Und doch sei daran erinnert, daß beispielsweise im US-Kino der 30er Jahre ein Mann mit ausgezogenem Jackett und eine auf der Chaiselongue rauchende Frau als sichere Anzeichen für stattgefundene Intimität galten. Kodifizierte Zeichensysteme – besonders solche, die sich um den stark tabuisierten Bereich der Sexualität drehen – zu verstehen, ist eben nur den Zeitgenossen des jeweiligen Kulturkreises möglich.

Aber der Film erzählt noch mehr: die Alltagsgeschichten der stetig arbeitenden Frauen und ihrer täglichen Handgriffe, der am Dorfplatz auf Geschehnisse wartenden Männer, der Lenker und Trittbrettfahrer der Familienfehde. Und vor allem die Geschichte der Emanzipation einer Frau und daneben in kleinen Gesten und Blicken auch die Geschichte einer unmöglichen Liebe zwischen dem verhinderten Hochzeitspaar. Am Ende gibt es dann doch Hoffnung auf die fünfte Jahreszeit, die Zeit der Versöhnung.

Welches Ende der Hamburger Buskrieg fand, ist mir leider unbekannt.

Do, 29. April bis Mi, 5. Mai, 20.30 Uhr, 3001