„Text aus Fleisch und Blut“

■ Der Regisseur Christian Ebert und der Schauspieler Michael Weber über Lebenslügen und ihre Inszenierung von Hölderlins Hyperion im Malersaal

Wenn die Unterscheidung zwischen Poesie und Philosophie jemals hinfällig geworden ist, dann am ehesten im Falle Friedrich Hölderlins. Als Bühnenautor hat er entsprechend wenig hinterlassen. An die Stelle dramatischer Literatur setzte er eine Art poetische Reflektion, die zwar hymnisch, aber nicht unbedingt bühnentauglich ist. Bei Hölderlin im Theater denkt man zunächst an Der Tod des Empedo-kles. Anders Regisseur Christian Ebert und Schauspieler Michael Weber, die Hyperion auf die Bühne bringen.

taz: Kann man diesen Brief- und Bildungsroman überhaupt inszenieren?

Ebert: Es geht nicht. Und deshalb machen wir's. Was wir da machen, ist nicht der Hyperion-Roman. Wir mußten sehr viel opfern, um klar zu machen, was unsere Sicht ist. Es ist sicher nichts für Philologen, aber Hölderlins Gedanken sind ja nicht papiern. Das ist nicht trocken, sondern von ihm gelebt. Das hat Fleisch und Blut.

Vom „Hyperion“ liegen mehrere Fassungen vor. Für welche habt Ihr Euch entschieden? Und nach welchen Kriterien?

Ebert: Es ist immer eine Mischung aus Instinkt und Pragmatismus gewesen. Einiges mußte dabei herausfallen, wie der Hintergrund der griechischen Inselwelt und der damit verbundene Naturaspekt. Dann ist unser Hyperion auch kein Eremit, wie er bei Hölderlin im Untertitel genannt wird, weil wir ihn ja vor ein Publikum stellen. Dadurch wird die Figur natürlich auch einschneidend verändert. Die Textpassagen, die aus der Haltung des Eremiten gesprochen werden, tauchen dementsprechend nicht auf.

Weber: Es hat sich viel aus der Bühnennotwendigkeit ergeben, weil der Malersaal eigene Gesetzmäßigkeiten mitbringt. Wie geht man etwa in diesem Betonfoyer mit dem Phänomen Natur um? Wir haben es dann außen vor gelassen, stattdessen das Dreiecksverhältnis der Hauptfiguren Alabanda, Hyperion und Diotima in den Mittelpunkt gestellt. Und die psychische Konstitution Hyperions, der, nachdem er sein Leben erzählt hat, zu dem Schluß kommt, daß eigentlich alles schief gegangen ist. Aber das, was schief gegangen ist, war eben sein Leben.

Hyperion sagt einmal: „Ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt.“ Was für ein Ausweg bleibt da noch für so etwas wie Realität?

Ebert: Der Ausweg ist eben nicht Friede, Freude, Eierkuchen, sondern, die Verluste und das Scheitern so genau wie nur irgendmöglich zu benennen. Das ist für mich der einzige positive Aspekt, den ich in der Wirklichkeit zur Zeit erkennen kann: Durchaus mit einem gewissen Galgenhumor die Chance zu ergreifen, das Scheitern in Sprache zu übersetzen. Hölderlin sagt nicht „So geht's“, sondern „So geht es nicht, aber was kann ich sonst tun?“ Er ist in der Revolte.

Weber: Das Verrückte an dem Text ist ja auch, daß er sich auf gespenstische Weise mit Hölderlins Leben deckt. Im Roman stirbt Diotima wie auch die Geliebte von Hölderlin stirbt. Im Roman wird sein Freund Alabanda von der Nemesis beiseite geschafft, in seinem Leben hat sein Freund Sinclair an einer Verschwörung teilgenommen, im Roman endet Hyperion als Eremit in Griechenland, Hölderlins Leben endet im Turm in Tübingen.

Interview: Joachim Dicks Premiere: Do, 29. April, 21 Uhr Malersaal