Kemistry ist tot

Ich bin es nicht gewohnt, Nachrufe zu schreiben, weiß nicht einmal, wie das geht. Doch die Nachricht über den plötzlichen Tod von Kemisty, der bedeutendsten DJ-Frau der Londoner Drum'n Bass-Szene, sollte nicht wortlos zur Kenntnis genommen werden. Kemistry, deren bürgerlichen Namen kaum jemand kennt, starb am Sonntag bei einem Verkehrsunfall nach einem Auftritt mit ihrer Kollegin Storm.

Zum ersten Mal begegnete ich den beiden Drum'n'Bass-Heroinnen vor drei Jahren im Londoner Blue Note Club. Es war der erste Januar 1996, und zusammen mit Goldie schenkten die beiden Freundinnen hinter den Decks mir eine der schönsten Tanznächte. Ich hatte zum ersten Mal Frauen gesehen, die mit dem gleichen Selbstverständnis hinter den Technics standen, wie ich es bisher nur von Männern gewohnt war. Aber es war noch etwas mehr als nur ein gekonnter Mix, es war die Leidenschaft und die Liebe zu einer Musik, die zu diesem Zeitpunkt noch als neu und innovativ für die gesamte internationale Musikszene galt.

Ein Jahr später hatten Kemistry & Storm ihren ersten Auftritt im hiesigen Mojo-Club. Mit ihnen schwappte die gewaltige Drum'n'Bass-Welle von der Insel nach Deutschland, denn niemand sonst konnte die Energie dieser Musik besser zum Ausdruck bringen. Am folgenden Tag hatte ich einen Interviewtermin mit den beiden Freundinnen und war etwas aufgeregt, denn selten hatte ich soviel Respekt vor jemandem. Es war nicht Respekt vor dem Startum, es war die Achtung vor der Ernsthaftigkeit, kombiniert mit der Euphorie, die die beiden ganz und gar unprätentiös vermittelten.

Als ich sie neulich erneut traf, um mit ihnen über den gerade erschienenen Sampler DJ Kicks zu plaudern, hatte sich etwas verändert. Die beiden waren noch strahlender und glücklicher, denn sie hatten es geschafft. Schmunzelnd berichteten sie, daß sie jetzt endlich etwas für die Nachwelt geschaffen hätten und ihre „Mixe“ nun durch die Welt gingen.

Doch das ist nicht alles, was den beiden während ihrer kurzen DJ-Laufbahn gelungen ist. Kemistry & Storm haben den Frauen Mut gemacht, Dinge zu tun, die sonst vorwiegend von Männern erledigt werden. Und das nicht nur hinter den Plattentellern.

Claude Jansen

Die Autorin ist selbst DJ und legt unter anderem im Golden Pudel Klub auf.