Christoph Biermann
: In Fußballand

■ Warum es nicht immer leicht für mich ist, Bundesligatorhüter in Bochum zu sein

Wahrscheinlich denken Sie, natürlich nur ganz tief drinnen und allein für sich, daß es eigentlich toll wäre, wenn Sie mal jemand um ein Autogramm bitten würde. Dann fragt aber doch wieder kein Schwein, weshalb ich hier gerne tröstend erklären möchte, daß es mit den Autogrammen so eine Sache ist.

Ich werde in der letzten Zeit nämlich immer häufiger gefragt, allerdings, um streng bei der Wahrheit zu bleiben, nur in der Nähe des Ruhrstadions, wenn der VfL Bochum dort eines seiner Spiele austrägt. Vor allem Kinder strecken mir plötzlich wortlos ihre Stifte entgegen und schauen mich erwartungsfroh an. Aber noch immer dauert es einen Moment, bis ich verstanden habe, was sie von mir wollen. Und schon bin ich an ihnen vorbeigelaufen.

Zum ersten Mal ist es am Fuße des Fritz-Walter-Stadions in Kaiserslautern passiert, im letzten September beim Otto-Rehhagel- wechselt-einen-Ausländer-zuviel-ein-und-Bochums-Torhüter- Thomas-Ernst-ist-angeblich-gedopt-wird-aber-hinterher-freigesprochen-Spi el. Danach lungerte ich am Mannschaftsbus der Bochumer herum, um zu notieren, was die Beteiligten zum Spiel zu sagen hatten, als ich zarte Mädchenstimmen rufen hörte: „Hallo, Herr Ernst.“ Ich drehte mich um, weil nun wohl Thomas Ernst, der immer etwas Vernünftiges zu sagen hat, zu kommen schien. Kam er aber nicht, und doch wollten die Mädchenstimmen nicht verstummen. Schließlich gab es keinen Zweifel, die drei dreizehnjährigen Autogrammjägerinnen in den Kaiserslautern-Trikots schauten voll sehnsüchtiger Begeisterung mich an und wollten ihr Thomas- Ernst-Autogramm von mir.

Meine Reaktion war jämmerlich. Ich zog hilflos die Schultern hoch und sagte seltsam piepsig: „Ich bin nicht Thomas Ernst.“ Dabei war es für die drei Mädchen doch völlig klar, daß ich Thomas Ernst sein mußte. Die Körpergröße, das Gesicht, die Nase, die Augenfarbe, die Haare – alles stimmt. Hatte ich gelogen?

Inzwischen verwandle ich mich zunehmend gelassener und routinierter in den Torwart des VfL Bochum. Das ist auch gut für die entsetzten Zuschauer, die mich noch eine halbe Stunde vor Anpfiff mit Freunden am Eingang des Ruhrstadions schwatzen sehen. Wenn ich „Wie, spielst du heute nicht“ gefragt werde, sage ich beruhigend: „Doch, doch, kein Problem.“ Schwieriger wird es, wenn mich die Übereifrigen gleich auf den Rasen scheuchen wollen: „Hömma, jetzt mach dich aber mal warm!“

Zu einem besonders problematischen Fall hat sich jener ältere Herr mit Fliege und blauweißem Schal entwickelt, der immer lauscht, wenn die Spieler nach Abpfiff von den Journalisten befragt werden.

Dabei macht er gelegentlich unhöfliche Bemerkungen oder fragt Gästestürmer halblaut, ob sie sich nicht „einfach zu dämlich angestellt“ hätten. Deshalb ist es besonders unangenehm, wenn er mich ganz vertrauensvoll auf die Seite zieht, um zu fragen: „Und wie haben Sie es gesehen, Herr Gustl?“

Womit wir bei einer besonderen Bürde meiner neuen Doppelpersönlichkeit sind. Besagter Spitzname gründet sich auf der vermeintlichen Ähnlichkeit von Thomas Ernst und Gustav Gans, dem so glücksdusseligen Vetter von Donald Duck. Aus Gustav wurde Gustl, aber wer will wie Gustav Gans aussehen und sich dann auch noch Gustl rufen lassen?

Außerdem hat Berühmtheit den Preis, daß man einen Arsch nicht mehr „Arsch“ nennen darf. Als ich letztens aus dem Stadion kam, hat mich ein echter Vollblödmann schräg von der Seite angequatscht. Ich wollte ihn schon ordentlich zusammenscheißen, als mir klar wurde, daß er nicht mich, sondern Gustl meinte.

Als Thomas Ernst, öffentliche Person, aber fand ich es ratsam, Rückhaltung zu üben, woran man sieht, daß es nicht immer leicht ist, Bundesligatorhüter zu sein. Aber wenn ich morgen gegen Nürnberg in der Schlußminute den entscheidenden Ball halte, werde ich mich von den Fans auf Schultern tragen lassen und Autogramme ohne Ende schreiben.