■ Pampuchs Tagebuch
: Verdoppelte Anstrengungen

Daß der Computerkrieg im Kosovo und in Serbien ein ganz realer Krieg ist, hat sich inzwischen herumgesprochen. Die Realität hat die Virtualität überholt. Ein derart trostloses Spiel hätte sich kein Anbieter auf den Markt zu werfen getraut. Aber manchmal kommt es einem vor, als agierten alle Beteiligten wie in einem hochkomplizierten Spiel ohne jede Bedienungsanleitung, als wüßte keine Seite mehr, was eigentlich der Zweck des Ganzen ist. Und wenn, wie und ob der überhaupt zu erreichen ist. Großserbien? Ein freies Kosovo? Ein geteiltes? Ein multiethnisches Musterland auf platt gemachtem Boden? Ein Protektorat, in dem es nichts mehr zu schützen gibt?

„Irgendwann wußten sie nicht mehr, wo sie hingehen sollten. Da verdoppelten sie ihre Anstrengungen“, hat Mark Twain dieses Syndrom beschrieben. Reden wir also von den Anstrengungen. Zumal denen, die Computer in diesem Krieg übernehmen können. Die kosovarische Putzfrau einer guten Freundin bangt seit Wochen um ihre Familie. Naile Berisha und ihr Mann Enver wissen nichts über den Verbleib ihrer Eltern Brahim und Azemine Morina, 1932 und 1931 geboren, zuletzt wohnhaft in Qikotove e Vjeter, Glokovac. Sie haben keine Ahnung, was aus Nailes Schwester Bahrije Sahiti, deren Mann und Kindern, zuletzt wohnhaft in Shtrubullov, Glakovac, geworden ist. Und sie haben keine Nachricht von Xhavit Morina, dem Bruder von Naile, ebenfalls aus Qikotove.

So wie den Berishas dürfte es im Moment Zigtausenden, wenn nicht Hunderttausenden Kosovaren gehen. In Deutschland, in anderen Ländern und vor allem in den Flüchtlingslagern um das geschundene Kosovo. Die Berishas haben versucht, über Suchanzeigen Auskunft über das Schicksal ihrer Verwandten zu erhalten. Unter www.kosovo. suchanzeigen.de, einem privaten Suchdienst, haben sie nach deren Verbleib geforscht. Und auch über die ebenfalls private Such-Hotline in Berlin (0 30) 75 70 81 62 haben sie es ver- sucht.

Genützt hat es bisher nichts. So lobenswert die Bemühungen dieser Dienste sind, man fragt sich doch, ob hier nicht eine offizielle und vor allem zentrale Instanz, die die Flüchtlinge erfaßt, die Daten sammelt und abrufbar macht, nicht eine Anstrengung der sonst so verschwenderisch mit Computern hantierenden Nato-Staaten wert wäre? Auch wenn die Suchanzeigen im Internet bis zum 25. April schon 1.023 Zusammenführungen ermöglicht haben, angesichts der fürchterlichen Ungewißheit, in der die Masse der Flüchtlinge und ihrer Angehörigen seit Wochen lebt, erscheint das wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Ein möglichst schnelles zentrales Erfassen aller Vertriebenen (sowie nach Möglichkeit auch aller Kriegsverbrecher) hätte den Vorteil, daß man die Daten für eine wie auch immer geartete Rückführung der Flüchtlinge, die ja oft nicht mal mehr über Papiere verfügen, schon einmal beieinander hätte.

Ein computergestütztes kosovarisches Personenregister samt Grundbucheintragungen dürfte für eine friedliche und zivile Entwicklung im Kosovo ebenso wichtig sein wie alle militärischen Computer-Planungen zusammen. Sicher löst das nicht die Frage, wie es heute weitergehen soll. Aber wenn der Krieg irgendwo hinführen soll, dann doch wohl dahin, daß sich die vertriebenen und auseinandergerissenen Familien und Freunde wieder finden und ihr Land aufbauen können. Wenn Datenbanken, Computer und Internet einen Sinn haben, dann jetzt und in dieser Frage. Da lohnt es sich, die Anstrengungen zu verdoppeln, ja zu verzehnfachen. Nur ein Computerfrieden kann den Computerkrieg ablösen. Thomas Pampuch

ThoPampuch@aol.com