160.000 neue grüne Arbeitsplätze

■ Deutschland könnte kräftig Energie und Rohstoffe einsparen – und dabei Jobs schaffen, so eine Prognos-Studie für Greenpeace

Berlin (taz) – Man stelle sich vor: Bundesumweltminister Jürgen Trittin kündigt gemeinsam mit Wirtschaftsminister Werner Müller an, die Wirtschaft ökologisch umsteuern zu wollen. Massiv sollen Dinge wie Autopools (Car-Sharing), Ökolandbau, biologisch abbaubares Plastik und Recycling angestoßen werden, um bis 2020 ein Viertel weniger Rohstoffe und ein Drittel weniger Energie zu verbrauchen.

Sicher ginge ein Aufschrei durchs Land, die Maßnahmen gefährdeten „unsere Arbeitsplätze“ in der Autoindustrie und im Braunkohletagebau, würde die Wirtschaft zetern. Sicher würde Kanzler Gerhard Schröder seine Minister zurückpfeifen und die angepeilten Ziele gehörig „nachbessern“. Aber das wäre ein Fehler.

Denn so ein Umsteuern würden anderswo so viele Jobs schaffen, daß unterm Strich 160.000 neu hinzukämen. Das hat jedenfalls das Baseler Prognos-Institut im Auftrag von Greenpeace errechnet. Die Schweizer Wirtschaftsforscher untersuchten 66 ressourcenschonende Techniken und Produkte, die im Prinzip schon heute zu Verfügung stehen.

Selbst wenn die angestrebten Öko-Investitionen nur im Rahmen der üblichen Erneuerungszyklen getätigt würden und dabei das Kapital so zurückhaltend eingesetzt würde, daß es nicht zu gesamtwirtschaftlichen Einbußen käme, könnten Müller und Trittin tatsächlich ein Viertel des Rohstoffverbrauchs und 28 Prozent der Energie einsparen. „Das Argument, umweltverträgliches Wirtschaften bedrohe Arbeitsplätze, stimmt schlicht nicht“, sagte Kristina Steenbock von Greenpeace, als sie gestern in Hamburg die Studie vorstellte.

Der höchste Beschäftigungseffekt ließe sich im Ökolandbau mit 85.000 neuen Arbeitsplätzen erzielen. Der Grund: Im Vergleich zum hohen Einsatz von Betriebsmitteln in der herkömmlichen Landwirtschaft für große Maschinen oder Kunstdünger sind beim Ökolandbau mehr Organisation, Wissen und Arbeitseinsatz erforderlich. Nur 7.000 Jobs würden dagegen in der Chemie verlorengehen – durch den geringeren Absatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln. Dabei geht Prognos von einem Zuwachs des Anteils ökologisch bewirtschafteter Fläche von derzeit 1,8 Prozent auf 53 Prozent aus – im „Weiter so wie bisher“-Szenario erwarten die Prognos-Experten nur 11 Prozent Ökoanbaufläche.

Beschäftigungsverluste gäbe es beim Umsteuern von der Straße auf die Schiene einmal durch den Ausfall der Dienstleistungen am Auto, wie Tanken, Waschen, Reparatur. Die Nachfrage nach Diensten im öffentlichen Personen- und Güterverkehr kann das nicht voll ausgleichen, so daß per saldo gut 6.000 Jobs verschwänden. Außerdem würden in der Autoindustrie weitere 41.000 Jobs verlorengehen. Dagegen entstehen durch mehr Nachfrage nach Infrastruktur für Bus, Bahn und Radwege sowie Wärmedämmung 86.000 Jobs im Bausektor.

Freilich wäre so eine Umweltpolitik auch keine Jobmaschine – 160.000 Stellen in 20 Jahren sind sicher nicht die Welt. „Für deutliche Verbesserungen am Arbeitsmarkt bedarf es gezielter arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen“, schließen die Forscher. Klar aber bleibt: Trittin und Müller hätten gute Argumente für eine Initiative Nachhaltiges Wirtschaften – wenn sie nur wollen. Matthias Urbach