Kollateralschaden im Wohngebiet

■  Der Luftangriff auf eine serbische Kleinstadt sorgt bei der Nato für Erklärungsnotstand. Getroffen wurden mehrere Wohngebäude. Die Opfer sind Zivilisten, darunter Kinder

Großbritanniens Verteidigungsminister George Robertson hatte gestern merklich Schwierigkeiten zu erklären, was in den frühen Morgenstunden passiert war: „Die Nato unternimmt alle Anstrengungen, die möglich sind, um zivile Schäden zu vermeiden. Und von mehr als 4.400 Angriffen hat nur ein sehr geringer Teil zu ungewollten Konsequenzen geführt, einschließlich Verlusten unter Zivilisten.“ Zuvor war eine Nato-Rakete bei einem Angriff auf die südserbische Kleinstadt Sudurlica in einem Wohngebiet eingeschlagen. Laut Angaben aus Belgrad wurden dabei mindestens 16 Zivilisten getötet und mehr als 100 verletzt. Unter den Toten sollen elf Kinder sein.

Robertson kam die Aufgabe zu, das Wort „Bedauern“ auszusprechen. Im Brüsseler Nato-Hauptquartier hatte Sprecher Jamie Shea zuvor erklärt: „Eine Präzisionsgesteuerte Waffe hat dabei versagt, ihr vorbestimmtes Ziel akkurat zu treffen.“ Angriffsziel sei eine Kaserne gewesen und diese sei auch zerstört worden. Die britische BBC zitierte eine „Nato-Quelle“ mit der Angabe, wahrscheinlich sei die Rakete von einem US-amerikanischen F-15 Kampfflugzeug abgefeuert worden. Vermutlich sei das Lasernavigationssystem durch Rauch von einem anderen Raketeneinschlag irritiert worden und das Geschoß 200 bis 300 Meter vom Kurs abgekommen. Es sei das einzige fehlgeleitete Geschoß gewesen.

Journalisten, die von den jugoslawischen Behörden an den Ort des Geschehens gefahren wurden, berichteten dagegen, mindestens vier zivile Gebäude seien vollständig zerstört. Augenzeugen hätten berichtet, mehrere Raketen oder Bomben seien in dem Wohngebiet eingeschlagen. „Ich hörte weit entfernt zwei Explosionen. Dann begann das Bombardement“, berichtete ein Einwohner von Sudurlica dem US-Nachrichtensender CNN. Insgesamt habe er zehn Explosionen gehört. „Als die Flugzeuge verschwunden waren, bin ich hingerannt, um zu sehen, was passiert ist. Es war grauenhaft. Überall lagen Leichenteile herum.“ Ein Reporter der Nachrichtenagentur AP berichtete, unter anderem sei ein Keller getroffen worden, in dem elf Menschen Schutz gesucht hatten, darunter fünf Kinder.

Die Bitte der Journalisten, auch die angeblich getroffene Kaserne besichtigen zu dürfen, wurde von jugoslawischen Militärs abgelehnt. Begründung: Die Straße dorthin sei Ziel eines früheren Nato-Angriffs gewesen und nicht passierbar. Der Bürgermeister von Sudurlica, Miroljub Stoiljkovic, erklärte gegenüber CNN, er verstehe den Angriff auf das Wohngebiet nicht, schließlich sei die Kaserne bereits am 6. April bei einem Angriff zerstört worden und die einzige intakte Militäreinrichtung in der Nähe sei ein sechs Kilometer entferntes Militärdepot. Nach seiner Rechnung seien in der 15.000 Einwohner zählenden Stadt elf Raketen eingeschlagen. Sie hätten 50 Häuser zerstört und 600 beschädigt.

Dessen ungeachtet griff die Nato auch gestern Ziele in Jugoslawien an. Die jugoslawische Nachrichtenagentur Beta berichtete, Raketen hätten die bereits schwer beschädigte Ölraffinerie von Novi Sad getroffen. Auch der auf einem Berg gelegene Fersehsender der Stadt sei zerstört worden. Über neue „Kollateralschäden“ wurde nichts bekant. taud