■ Die Frühen, die Guten, die Fleckigen: Meister Eberhards kleine Kartoffelkunde
: Rosarote Kartoffelwelt

Die Knollen in Kisten und Körben heißen „Nicola“, „Sieglinde“ oder „Galatina“: Frühkartoffeln. Sie beherrschen den Markt, wenn die Wintervorräte erschöpft sind. Eine Million Tonnen Kartoffeln, zehn Prozent der deutschen Ernte, sind im vergangenen nassen Winter verdorben, abgesoffen in erdbedeckten Lagergruben der Kartoffelbauern. Früher wäre die Hungersnot ausgebrochen, denn bis vor zwanzig Jahren konnten die Deutschen erst vom Juni an Frühkartoffeln kaufen, so lange mußten die alten reichen. Heute werden schon zum Weihnachtsschmaus frühe Sorten wie „Spunta“ aufgetischt und zum Dessert frische Erdbeeren. Im Gegensatz zu denen haben Frühkartoffeln durchaus Geschmack.

Kartoffelbauern in Zypern, Israel und Italien ernten schon im Dezember. Im Frühjahr kommt die zweite Ernte passend zur Spargelzeit, die gleichfalls ständig vorverlegt wird. Klaus Bernhard, Chef der Gemüseabteilung in der Freßetage des Berliner KaDeWe, empfiehlt zum Spargel die festkochende „Nicola“. Aber: Nicht aus Zypern, aus Israel soll sie sein. „Dort ist der Boden besser, die Kartoffel schmeckt feiner.“ Fünf Mark kostet das Kilo. Sechs weitere Sorten hat Bernhard im Angebot, darunter die walnußgroße „Violetta“, das Kilo für elf Mark. Ihr Fleisch ist violett marmoriert. Gourmetköche setzen sie gerne als Garnitur ein. Bernhard: „Alles Show!“

Eine andere, gute und festkochende Frühkartoffel ist „Sieglinde“. Vincent Klink von der Stuttgarter „Wielandshöhe“ bevorzugt sie als Salatkartoffel. Aber Sieglinde ist nicht gleich Sieglinde. Ob die Knolle schmeckt, hänge, so Klink, von Boden und vor allem von der Düngung ab. Die muß natürlich sein. Im Supermarkt erfährt der Verbraucher wenig über Herkunft und Behandlung. Oft ist der Zustand der Krumbeeren ein Ärgernis: Keimsprießende Altlasten muffeln neben Frühkartoffen mit schwarz klaffenden Wunden durch die Erntemaschinen. Oder Düngeorgien haben die Früchte zu Kindskopfgröße aufgetrieben. Manchmal haben sie grüne Flecken – durch falsche Lagerung entstandenes giftiges Solanin. Großzügig wegschneiden! Zeigen die Kartoffeln beim Schälen Flecken, sind sie beim industriellen Verpacken schlecht behandelt worden, das passiert immer öfter. Kartoffeln wollen dunkel, kühl und trocken gelagert werden, nie unter vier Grad.

Besonders ärgerlich sind eingefärbte Plastikbeutel. Sie täuschen eine rosarote Kartoffelwelt vor. In der Küche kullern dann müde, faltige Bodenbirnen auf den Tisch. Im Bioladen sind die Krumbeeren oft mit Erdbrocken verziert. Natürlich sollen Kartoffeln vom Händler nicht gewaschen werden, was leider häufig geschieht – die Feuchtigkeit aktiviert alle Keime –, aber Dreckklumpen müssen wirklich nicht sein. Freunde der Ökobilanz mag zudem interessieren, daß so manche Biokartoffel aus Israel einfliegt.

Festkochende Kartoffeln sind für Gratins und Salate bestimmt. Gute Sorten sind die „Sieglinde“ oder, noch besser, weil immer bißfest und mit starkem Eigengeschmack, die „Ratte“ aus Frankreich, deren Form an den Nager erinnert. Auch sehr gut, wenn auch schwer zu schälen und erst im Sommer erhältlich: die knurzeligen „Bamberger Hörnchen“. Mehligkochende Kartoffeln kommen in Suppen, Pürees und Gnocchi. Klink empfiehlt die Sorte „Drilling“. Großartig schmecken Kartoffeln auch als knoblauchstrotzendes Püree mit Olivenöl-Lache obendrauf. Als Gratin braucht die Kartoffel dreihundert Gramm Sahne pro Knollenkilo. Vielleicht noch etwas geriebenen Gruyère drüber. Und die Butterflocken nicht vergessen! Eberhard Schäfer