Mittler zwischen harten Fronten

Heute soll PKK-Chef Abdullah Öcalan erstmals seinem Richter gegenüberstehen. Auf der Gefängnisinsel Imrali im türkischen Marmarameer beginnt der eigentliche Prozeß gegen den PKK- Vorsitzenden. Der Prozeß wird, so offiziell, „ununterbrochen“ weiterlaufen und höchstwahrscheinlich mit einem Todesurteil enden. Damit jedenfalls rechnet Ahmet Zeki Okcuoglu, der Öcalans Anwaltsteam koordiniert. Ein Porträt des Advokaten  ■ von Dilek Zaptcioglu

Ich bin fünfzig Jahre alt und habe mein ganzes Leben diesem Kampf gewidmet. Nun will ich endlich in Frieden leben.“ Dieser Wunsch Ahmet Zeki Okcuoglus wird so bald nicht in Erfüllung gehen. Durch das Mandat, das er vor zwei Monaten übernahm, hat er überhaupt keine Ruhe mehr. Von nächtlichen anonymen Anrufen bis hin zu offenen Angriffen auf der Straße reichen die Reaktionen derjenigen, die die Anwälte Abdullah Öcalans am liebsten in dieselbe Zelle mit ihrem ebenso verhaßten Mandanten stecken würden.

Gefängniszellen kennt der Advokat auch von innen, er saß wegen separatistischer Reden oft selbst auf der Anklagebank. Er gab seinen Beruf vor fünf Jahren vorübergehend auf, denn „es war komisch, am selben Tag mal als Verteidiger, mal als Angeklagter in denselben Gerichtssälen aufzutreten“. Als Öcalan im Februar gefaßt wurde, entschloß er sich jedoch sofort, die Verteidigung zu übernehmen, denn: „Das wird der Prozeß des Jahrhunderts.“

Spricht er von seinem Mandanten, tut er dies stets mit der solidarischen Haltung des Gerechten, der einen Kameraden nicht im Stich lassen will, auch wenn er weiß, daß er großen Mist gebaut hat. Abdullah Öcalan – eine Legende. Die ganze kurdische Geschichte dreht sich um solche legendären Aufständler und Rebellen.

Alle siebzehn AnwältInnen Öcalans sind Verfechter der kurdischen Sache. Viele stammen aus dem Umfeld des Menschenrechtsvereins IHD, der durch seine Nähe zur PKK auffiel. Okcuoglu ist wie Öcalan ein Achtundsechziger. Beide erlebten ihre politische Sozialisierung an Hochschulen. Beide durchliefen das türkische Erziehungssystem, erkannten erst später ihre kurdische Identität und suchten innerhalb der türkischen Linken einen „anderen, kurdischen Weg“ zu gehen.

Für den gut gekleideten, charmant auftretenden Juristen bedeutete dies stets legalen, friedlichen Kampf, während Öcalan sich bekanntlich für rauhere Methoden entschied. Okcuoglu war ein wohlerzogener Beamtensohn und wurde Jurist, Öcalan wuchs als Kind einer siebenköpfigen armen Bauernfamilie auf. Und wenn er nicht selbst in die Berge wollte, so schickte er seine Gefolgsleute dorthin und ließ sie Krieg gegen eine ganze Armee führen.

Das hat Okcuoglu in der Vergangenheit oft kritisiert. Mit Waffen allein, meint er, könne man das System nicht verändern. So geriet er in Konflikt mit der PKK. Öcalan selbst schimpfte heftig über die pazifistischen „kleinbürgerlichen“ Intellektuellen, „diese Anwälte, Ärzte und so weiter“.

Gerüchte über PKK-Todeslisten, auf denen auch Okcuoglus Name gestanden haben soll, dementiert der Anwalt heute. Aber daß er nie ein Freund der PKK war, daraus macht er kein Hehl. Nun, wo Öcalan in Isolationshaft auf die Todesstrafe wartet, scheint er seine Antipathien neu überdacht zu haben. Jedenfalls behauptet Okcuoglu jetzt, die PKK sei niemals eine gewalttätige Organisation gewesen. Okcuoglus Name taucht schon 1969 unter den Gründern der „Revolutionären Östlichen Kulturvereine“ (DDKO) auf, der ersten legalen kurdischen Vereinigung in der Geschichte der türkischen Republik.

Die Initiatoren waren zumeist kurdische Studenten aus den Großstädten, eben die „Kleinbürger“, von denen Öcalan nichts hielt. Okcuoglu studierte damals in Ankara Jura.

Die Vereine etablierten sich in kurzer Zeit auch im Osten und Südosten des Landes. Als die Militärs 1971 putschten, wurden sie geschlossen, ihre Gründer und Anhänger zu Haftstrafen verurteilt. Okcuoglu hatte sich vor dem Putsch eine Zeitlang im Nordirak aufgehalten, wo der türkische Ableger der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) gegründet wurde. Nach seiner Rückkehr mußte er zwei Jahre ins Gefängnis.

Die späten siebziger Jahre brachten, durch eine vom damaligen (und jetzigen) Premier Bülent Ecevit erlassene Generalamnestie, erneut Freiheiten für die Linken. Okcuoglu gründete diesmal die „Revolutionären Demokratischen Kulturverbände“ (DDKD), wobei der Buchstabe „K“ statt „Kultur“ auch für „Kurdisch“ stand. Die Spaltung der Linken brachte ihn jedoch schnell auf andere Bahnen.

Eine Zeitlang sympathisierte er mit der maoistischen „Kawa“. Aber die nach dem legendären kurdischen Schmied – der die Ketten der Tyrannei zu sprengen wußte – benannte Organisaton war für ihn „mehr mit den Fragen der Weltrevolution beschäftigt als mit den Belangen der Kurden“. Er trat aus und schloß mit 29 Jahren sein Jurastudium ab.

Der Putsch von 1980 brachte für Okcuoglu vierzig Tage Haft. Er wurde wegen „Kawa“ vors Gericht gestellt und freigesprochen. In den neunziger Jahren, als er wegen neuer Haftstrafen seinen Beruf vorübergehend einstellte, versuchte er sich als Publizist und Verlagsgründer. Er ist in zweiter Ehe mit der bekannten Anwältin und stellvertretenden Vorsitzenden des Menschenrechtsvereins Eren Keskin verheiratet und hat zwei Kinder.

Okcuoglu nennt sich selbst „Liberaldemokrat“, einer, der nicht mehr an Revolutionen glaubt: „In meinen ersten Studienjahren breiteten wir oft die Türkeikarte vor uns aus und zeichneten Kurdistan ein. Wir fragten uns, wo die Grenzen verlaufen sollten. Weil wir Zugang zum Meer haben wollten, gemeindeten wir auch das nichtkurdische Iskenderun ein. Und warum sollten wir nicht auch zum Schwarzmeer hinaus? Also nahmen wir Trabzon hinzu. Wir betrachteten die Türkei als ein Niemandsland.“

Nachdem sie die Heimat so aufgeteilt hatten, gingen sie zum Iran, Irak und zu Syrien über und gelangten zum Toten Meer. Die Ölfelder wurden dabei nicht beiseitegelassen. „Unsere sozialistische Moral schränkte unsere Ambitionen etwas ein“, erzählt er von diesen Zeiten nicht ohne Ironie, „sonst hätten wir nichts dabei gefunden, alles ringsum zu annektieren und ein Weltreich zu gründen.“

Die kurdischen Intellektuellen genossen damals ihre linke Freiheit, das Unmögliche zu fordern. Okcuoglu führt das auf den typischen Realitätsschwund des Intellektuellen hin. Während die kurdischen Führer Iraks oder Irans in traditionellen, feudalistischen Strukturen eingebettet sind, waren die kurdischen Fürsprecher in der Türkei stets studierte, städtisch sozialisierte Revolutionäre ohne große Bindungen an das Volk der Bauern und Arbeiter.

Der Widerspruch ist nicht zu übersehen: Während sie über die Grenzen „des freien Kurdistans“ theoretisierten, ging es ihnen stets darum, durch die Mehrheitsgesellschaft anerkannt zu werden. Okcuoglus Worte könnte man genauso von den Türken in Hamburg oder Berlin hören: „Ich habe zwei Identitäten und bin stolz darauf. Ich habe nicht die Absicht, auf eine der beiden zu verzichten.“

Die Lösung sieht Okcuoglu in der „Anerkennung mit den zwei Identitäten“ und nicht in Eigenstaatlichkeit. Nur wenn Öcalan gehenkt würde, meint er, würde er den Dialog mit dem Staat völlig abbrechen.

Dilek Zaptcioglu, 39, Autorin der taz, und Jürgen Gottschlich, 44, Türkeikorrespondent der taz, leben und arbeiten in Istanbul und Berlin