„Wir prügeln uns nicht aus Jux und Dollerei“

■  Gernot Piestert (56) ist Chef der Berliner Landesschutzpolizei und seit 39 Jahren Polizist. Im taz-Gespräch äußert er sich zu den 1.-Mai-Ritualen, gewaltmindernden Maßnahmen im Vorfeld der Demos, Transparenz durch Dialog und einem Shuttle-Service für die Presse an die Brennpunkte

taz: Was erwarten Sie am 1. Mai?

Gernot Piestert: Seit zwei Wochen werden Randale, Tumult und Chaos in den Medien herbeigeredet. Das ist unerträglich. Wir haben uns ja dieses Jahr besondere Mühe gegeben, durch Öffentlichkeitsarbeit im Vorfeld gewaltmindernd zu wirken und potentiellen Gewaltbereiten zu vermitteln, daß das keine Lösung ist. Um so ärgerlicher ist es, wenn man im Wege der Self-fulfilling Prophecy jetzt die Gewalt so richtig anheizt.

Glauben Sie an den Erfolg der Kommunikationsoffensive?

Ich bin natürlich kein Traumtänzer. Aber wir haben im Moment keine konkreten Erkenntnisse über Gewalt. Es gibt eine ganze Reihe Plakate, aber nur auf einigen ist eine gewisse Militanz zu erkennen. Wir wollen unsere Verpflichtung, mit den Veranstaltern zu kooperieren und gewaltmindernd im Vorfeld zu wirken, sehr ernst nehmen. Wir müssen aber auch klar machen, daß die Polizei eine rechtliche Verpflichtung hat, die wir gefälligst wahrzunehmen haben. Man muß Anwohnern und Demonstranten klarmachen, daß wir da nicht hingehen aus Jux und Dollerei oder weil wir uns so gerne prügeln. Wir wollen uns auch bemühen, durch eine sehr konsequente Pressebetreuung den Journalisten die Chance zu geben, unter unserere Mitwirkung das Spiel von Ursache und Wirkung tatsächlich auch vor Ort mitzubekommen.

Wie soll das aussehen?

Wir werden die Journalisten mit einem Shuttle-Dienst an die Brennpunkte fahren, wenn das gewünscht ist, um direkt vor Ort zu erläutern, warum was wie läuft. Wenn es so richtig krachen sollte, ist es natürlich problematisch, die richtigen Einblicke zu geben. Aber wir haben uns vorgenommen, die Presse offensiv zu informieren.

Auf welche Stadtteile werden Sie sich konzentrieren?

Ich erwarte eine Konzentration auf Kreuzberg, das schließt aber nicht aus, daß wir auch im Prenzlauer Berg und anderswo präsent sein werden. Ich hoffe sehr, daß es gelingt, daß dieses Jahr die Vernunft die Oberhand erlangt.

Gibt es Anlaß für diese Hoffnung?

Eigentlich nicht. Bis auf die wenigen militanten Plakate haben wir zwar keine Hinweise auf Unfriedlichkeit. Doch dem stehen natürlich unsere jahrelangen Erfahrungen gegenüber. Unser Motto „AHA“, das für Aufmerksamkeit (erzeugen), Hilfe (in Anspruch nehmen) und Appelle (starten) steht, ist von der Antifaszene umgedreht worden in „Antifa heißt Angriff“. Das ist zwar ganz lustig, aber nicht gerade nett. Doch man muß so etwas auch nicht überbewerten. Aber wir richten uns schon darauf ein, daß es losgehen könnte. Manchmal spielt Alkohol eine Rolle, manchmal reicht eine Banalität wie ein vorbeifahrendes Polizeifahrzeug, und es geht wie ein Flächenbrand los. Darauf muß man sich einstellen, weil an dem 1. Mai leider die Vernunft zum Teil ausgeschaltet ist.

Ist es nicht so, daß die Polizei im Vorfeld eigentlich machen kann, was sie will, und das Ergebnis ist das gleiche?

Wir sind nun mal ganz exponierte Vertreter dieses Staates, der von vielen nicht geliebt ist, die sich auf die Fahnen schreiben „Abschaffung und Überwindung des Systems“. Weil wir die unmittelbare Repräsentanz dieses ungewollten Staates sind, wundert es uns auch nicht, daß wir das in erster Linie abkriegen. Egal, wie dieser 1. Mai ausgeht – und ein bißchen was wird passieren – die Polizei ist schuld und hat alles falsch gemacht.

Wir haben Wahlkampf in Berlin, und die Schuldzuweisungen kenne ich jetzt schon. Das ist auch so ein Ritual, die politische Aufarbeitung der Geschehnisse zum Beispiel im Innenausschuß.

Die Polizei trägt also gar keine Schuld, wenn es zu Auseinandersetzungen kommt?

Nein, die Polizei hat eine friedenstiftende Funktion, und ich bin mir sicher, daß sie diese Rolle auch verinnerlicht hat. Ob im Einzelfall diese Maxime unter den enormen Belastungen eines solchen Einsatzes immer beachtet werden kann oder ob sich eine taktische Entscheidung im nachhinein als wenig glücklich darstellt, mag dahinstehen. Wir provozieren nicht, und nur wir sind legitimiert und oft sogar verpflichtet, Gewalt anzuwenden.

Wie gehen die Polizisten mit den Vorurteilen um, auf die sie auf der Straße treffen?

Wenn sich irgend etwas abzeichnet, Vermummung angelegt wird oder Transparente zur seitlichen Absicherung genommen werden, werden wir versuchen, mit einem Gespräch und nicht gleich mit Brachialgewalt ranzugehen. Aber irgendwann ist die Grenze erreicht, und dann müssen wir ran. Trotzdem versuchen wir eine Art Güterabwägung in dem Sinne, nicht sofort einzugreifen, wenn eine Eskalation droht, und statt dessen mit Videoaufnahmen oder anderen Mitteln Täter später zu identifizieren. Da haben wir manchmal Probleme mit der Staatsanwaltschaft, weil wir aus deren Sicht nicht immer ganz strikt das Legalitätsprinzip durchsetzen.

Sind alle Beamten der Dialogbereitschaft gewachsen?

Es gibt natürlich Polizisten, die den Dialog nicht suchen, ohne Zweifel, und die auch nicht in der Lage sind, diesen zu führen. Aber die große Masse der Polizisten ist bereit, gewaltmindernd zu wirken und zu sprechen, wenn man ihnen denn zuhört. Wenn aber Feindbilder aufgebaut werden wie „Mit den Scheißbullen redet man sowieso nicht“ oder „Mit den linken Chaoten reden wir nicht“, dann wird es manchmal schwierig.

Können Sie sich überhaupt einen friedlichen Mai in Berlin vorstellen?

Ich bin seit 39 Jahren Polizist und erinnere mich an Maifeiertage, die aus Polizeisicht geprägt waren von Langeweile, Kälte, Regen und von einer Fröhlichkeit im Sinne eines Festes der Arbeit und von selbstbewußtem Arbeitertum. Aber was seit zwölf Jahren in Berlin abläuft, ist für mich eine Perversion. Ich finde das ätzend und erschreckend. Interview: B. Bollwahn de Paez Casanova