Nur echt mit dem Bananensattel

■  Unvergängliche Fahrräder, Folge zwei: Das Bonanzarad, zu Hause in allen Fußgängerzonen dieser Welt. Der Hersteller Schwinn ist um Renaissance bemüht, den Traditionalisten geht's um „die Rettung eines Kulturguts“. Ein Fahrrad zum Schießen?

Seltsam gebogene Rahmenrohre, 20-Zoll-Laufräder und als Krönung ein Bananensattel mit Rükkenlehne – so was ist entweder unverkäuflich oder Kult. Kult, entschieden die amerikanischen Sandkastenrocker der siebziger Jahre. Sie sorgten dafür, daß das seltsame Ding mit dem Namen „Bonanza“ Karriere machte. Wer ein Bonanza-Bike fuhr, gehörte dazu, wer nicht, war leider nur Mitglied im Club der „Klapprad-Fuzzis“. Die Firma Schwinn, die Herstellerin des Originals, profitierte vom Boom allerdings kaum. Kaufhäuser und große Fahrradmarken, alle hatten plötzlich Bonanza-Versionen im Programm. Schwinn konterte schließlich mit einem Geländerad. Das wiederum löste die Mountainbike-Welle aus, eine andere Erfolgsstory.

Jetzt wollen die Amerikaner die glorreiche Bonanza-Ära neu aufleben lassen – mit den modifizierten Modellen Sting Ray und Orange Krate. „Wir haben Schlaghosen wieder, wir haben den VW Käfer wieder“, sagt Schwinn-Manager Geoff Hannen, „warum nicht das Sting-Ray?“Der deutsche Internet-Fahrradhändler Christian Michaelis sieht eine gute Chance für die reanimierten Kulträder: „Das paßt zum allgemeinen Retrotrend. Endlich können auch die Kinder ins Siebziger-Fieber verfallen.“ Doch nicht nur die Kids sollen auf Bonanza abfahren. Auch ältere Jahrgänge, die durch die Panne der späten Geburt den ersten Triumph des Bananensattels verpaßten, können heute alles nachholen. Auf seiner Homepage preist Michaelis das Orange Krate als Fluchthelfer und Sorgenbrecher an: „Fühl dich frei und träume ein bißchen von deinen jungen Jahren.“

Zu der angesprochenen Generation zählen beispielsweise die „Radsportfreunde Bonanza Moers“, geführt von den Vorsitzenden Ben, Hoss „Kleiner Dicker mit Hut“ und Little Joe Cart-wright. Auch wenn diese Bonanza-Twens etwas komisch in ihren selbstbedruckten T-Shirts aussehen sollten, in Wirklichkeit halten sie das Bonanza-Rad-Fahren für eine ernste Angelegenheit. Laut eingetragenem Vereinszweck geht es um nicht weniger als „die Rettung eines Kulturguts und repräsentativen Statussymbols“. Mit demonstrativen Fahrten „durch die Fußgängerzonen der Welt“ wollen sich seine Mitglieder bemühen, das „Rad der Geschichte“ zu bewahren. Sogar Weltmeisterschaften haben sie schon ausgerichtet. Eine der Disziplinen: Bergrunterfahren. Gar nicht so einfach mit diesem wackeligen Gefährt.

Den Replikas steht die Bonanza-Truppe mit gemischten Gefühlen gegenüber. „Die haben keine Schaltung“, sagt Michael „Ben Cartwright“ Jotzo, der Chef des Vereins. Die Bonanzas der frühen Jahre brachten es hingegen auf drei Gänge, mehr nicht, aber dafür waren die mit einem monströsen Hebel zu bedienen. Andererseits: Die Federung war nur vorgetäuscht – durch eine Metallfeder, die keine Funktion hatte. Das neue Orange Krate aber protzt mit der „Schwinn-Springer-Gabel“ und kann somit als gefedert durchgehen. Was den Cowboys ebenfalls nicht gefällt.

Man ahnt: Die „Cartwrights“ sind Puristen. An ihren Rädern muß alles original sein – darüber wacht eigens ein „Folklorewart“. Da muß die Ersatzteilsuche schon mit detektivischem Geschick betrieben werden. Secondhandläden und Arbeitsloseninitiativen sind die besten Adressen, sagt der Bielefelder Matthias Kehne. Seinen Rahmen fand er in Herford, den Sattel beim Kumpel im Keller, und das Zierband für die Bowdenzüge hat ihm eine Freundin mitgebracht. Aus einem Münsteraner Krämerladen, in dem offenbar die Zeit stehengeblieben ist – das Preisschild war noch original aus den Siebzigern. Und natürlich muß ein derartiger Veteran gehegt und gepflegt werden, akribische Handarbeit ist angesagt. „Die Kugellager habe ich Stück für Stück auseinandergenommen und in Verdünnung eingelegt“, sagt Kehne. Und der Lack auf den Schutzblechen kam unters Rasiermesser, bis alles wieder original in Chrom glänzte.

Denn auch die Farbe muß authentisch sein. Jede Epoche hat ihre bevorzugte Couleur: geschmacklose Gold-Bronze-Töne oder Grün mit einer nicht zu übersehenden Tendenz zu Braun. Der derzeitige absolute Renner: Stadtwerke-Orange.

Das neue Orange Krate kommt dem schon sehr nahe. Außerdem kann es mit verchromten Schutzblechen aufwarten (im sogenannten Schaufelstyle), während das Sting Ray dottergelb und schutzblechlos vorfährt. Bei Christian Michaelis ist die Nacktversion für 899 Mark zu haben, fürs vorderradgefederte Orange Krate sind hingegen drei Hunderter mehr auf den Ladentisch zu blättern. Übrigens: Auf die Vorderradbremse hat der Hersteller Schwinn bei beiden Modellen verzichtet. Was die Traditionalisten womöglich am wenigsten bekümmern wird: So ein Schnickschnack war an den Originalen auch nicht zu finden.

Michael Ehrhart Oliver Abraham (Wortpol)