Wenn das Fahrrad Fieber hat

In der hochentwickelten Dienstleistungsgesellschaft kommt jeder ins Haus. Neuerdings auch der Zweiradmechaniker, der allerdings „Bike-Doctor“ heißt  ■   Von Anette Schlichte

Manchmal denkt Patrick Kundmüller, daß er seinen Doktorkittel an den Nagel hängen sollte. Dann aber glaubt er doch wieder an seinen Traum: eine Marktlücke entdeckt und einen Job zu haben, der auch noch Spaß macht. Eine Arbeit mit gelegentlichen Sternstunden. Eine erlebte er, als ihm eine Kundin überschwenglich siebzig Mark Trinkgeld in die Hand drückte.

Der Bremer Kundmüller übt einen Beruf aus, der noch gar nicht lange existiert – er ist Bike-Doctor. Er ist also nicht zuständig bei akuten Kreislaufproblemen, vielmehr heilt er die Wunden von maroden Fahrrädern. Falls der Reifen zum Beispiel unter chronischem Luftmangel leidet, die eine oder andere Schraube lokker ist oder Speichenfrakturen zu diagnostizieren sind, wären dies klare Fälle für ihn. Das Besondere: Patrick Kundmüller ist Hausarzt. Er repariert in fremden Kellern ebenso wie draußen auf der Landstraße.

Und natürlich fährt er nicht im Notarztwagen vor, sondern auf einem schnellen Mountainbike. Hinten dran hängt ein einspuriger Anhänger, gefüllt mit Werkzeug, Ersatzteilen und Schrauben. Für den jeweiligen Weg berechnet Kundmüller eine Anfahrtspauschale, gestaffelt nach Entfernungen. Da er keine stationäre Werkstatt besitzt, kann er jedoch nur kleine Reparaturen erledigen. Sicherlich einer der Gründe, warum sein Geschäft noch nicht rund läuft. Obwohl er für die Stunde 50 Mark berechnet. Und sollte ein Eingriff ganz schnell erledigt sein, kommen 20 Minuten auf den Zettel. Sonst lohnt es sich nicht. „Ich bin schon mal gerufen worden, um jemandem Luft auf den Reifen zu pumpen, weil er keine Luftpumpe dabei hatte. Wenn ich in solchen Fällen lediglich fünf Minuten berechnen würde, käme ich nie auf meine Kosten.“ Ersatzteile sind natürlich extra zu zahlen – für einen neuen Schlauch beispielsweise 9,80 Mark.

Obwohl Kundmüller der eigene Laden fehlt, verfügt er nach eigener Aussage über ausreichende Erfahrung und aktuelles Know-how. Schon immer habe er sich mit Begeisterung den Velos gewidmet und überall rumgeschraubt. Und die letzten Geheimnisse zwischen Vorder- und Hinterrad hat ihm der ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) in mehreren Technikkursen offenbart – bis er selbst in der Lage, war beim ADFC als Kursleiter zu arbeiten. Jetzt aber hat er anderes im Sinn. „Mein größter Wunsch wäre ein eigener Fahrradladen, aber um dafür genug Geld zusammen zu haben, müßte ich noch viele Fahrräder heilen“, so der Doc zu seinen Perspektiven.

Beim Franchise-System der Firma Gerhardt & Bollen ist genau diese Anbindung an eine Fahrradwerkstatt zwingend vorgeschrieben. Das Pilotprojekt wurde vier Jahre lang in Düsseldorf getestet. Seit gut einem Jahr hat es sich auf acht weitere Städte ausgedehnt, darunter Hamburg, Berlin, Hannover und Aachen. Die Fahrraddoktoren mit fester Praxis sind in der Lage, auch aufwendigere Reparaturen bewerkstelligen zu können.

Auf Einsatz gehen sie mit einem Lastenrad, auf dem vorne auf der Ladefläche der Werkzeugkoffer mitgeführt wird. Fahrrad inklusive Ausrüstung stellt der Franchise-Geber. Er achtet auch darauf, daß alle angeschlossenen Doktoren ausgebildete Zweiradmechaniker sind. Dieser Franchise-Service hat seinen Preis: Die Initiatoren kassieren pro Monat von jedem Laden 295 Mark an Gebühren.

Im Vergleich mit dem Metier von Patrick Kundmüller hört sich das professioneller an. Doch Roland Gerhardt, der Geschäftsführer von Gerhardt & Bollen, klagt ebenso über noch mangelnden Zuspruch: „Es gibt genügend kranke Velos, aber deren Fahrer begegnen uns mit zuviel Skepsis.“ Obwohl das Unternehmen schon seit einem Jahr auf dem Markt ist und viel Geld in die Werbung geflossen sei, habe es sich in den Köpfen der Biker noch nicht festgesetzt. „Die deutschen Fahrradfahrer sind zu konservativ, diese Art Service ist ihnen noch suspekt“, erklärt Gerhardt. Ähnlich sieht es auch Roland Fleck, im Fahrradladen „Radgeber Linden“ (Hannover) tätig und für das dortige Bike-Doctor- System zuständig: „Bis die Leute das neue Angebot annehmen, wird es wohl noch ein paar Jahre dauern.“

Diesen langen Atem traut er sich zu, denn im Gegensatz zu Patrick Kundmüller müssen er und sein Betrieb nicht ausschließlich von der mobilen Arbeit leben. Hauptsächlich betreiben sie das, was ein Fahrradfachgeschäft auszeichnet: den Verkauf von hochwertigen Rädern, Komponenten und von Zubehör. Und außerdem floriert die stationäre Werkstatt.

Aber auch Doc Kundmüller denkt überhaupt nicht ans Aufgeben. Weiß er doch, was Trend ist: Ob Masseur, Callboy, Pediküre, Friseurin oder Elektriker – alle bekennen sich zur Dienstleistungsgesellschaft und kommen selbstverständlich ins Haus. Patrick Kundmüller denkt jetzt darüber nach, seine Angebote zu erweitern: „Vielleicht werde ich zusätzlich noch das Putzen von Fahrrädern anbieten. Ich bin schon einige Male darauf angesprochen worden. Ich glaube, das wäre noch eine ganz neue Marktlücke.“

„Ich bin mal gerufen worden, um Luft auf den Reifen zu pumpen, nur weil die Luftpumpe fehlte.“