Europas Regierungschefs im Zickzackkurs

In der europäischen Asyl-, Flüchtlings- und Einwanderungspolitik endet morgen die Zuständigkeit der nationalen Parlamente. Doch erst nach fünf Jahren darf das EU-Parlament entscheiden  ■   Von Daniela Weingärtner

Von morgen an gibt es in Europa einen neuen Spitzenjob zu vergeben: Frau oder Herr GASP soll die Union nach außen vertreten. Im Juni 1997 einigten sich die Regierungschefs in Amsterdam auf neue Grundlagen einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung sollen auch in Zukunft einstimmig getroffen werden. Über die Umsetzung können die Außenminister aber dann mit einfacher Mehrheit entscheiden. Nur wenn ein Land seine nationalen Interessen bedroht sieht, kann es auch weiterhin ein Veto einlegen.

Dieser Zickzackkurs zieht sich durch das ganze Vertragswerk: Einerseits scheuten sich die Regierungschefs, zuviel nationale Souveränität aufzugeben. Sogar Europa-Fan Helmut Kohl gehörte in Amsterdam auf Druck der Bundesländer eher zu den Zögerern. Andererseits waren sich aber alle darüber im klaren, daß nur Mehrheitsentscheidungen die Gemeinschaft in Zukunft handlungsfähiger machen werden – vor allem, wenn sich der Kreis um neue Mitglieder aus Osteuropa erweitert.

Nach dem Amsterdamer Gipfel dauerte es noch fast zwei Jahre, bis alle nationalen Parlamente dem Vertrag zugestimmt hatten. Die Grünen enthielten sich bei der Abstimmung im Bundestag der Stimme, weil ihnen die politischen Reformen nicht weit genug gingen. Als letzte schlossen im März die Franzosen die längliche Ratifizierungsprozedur ab. Wie Außenminister Fischer am Mittwoch bestätigte, soll nun auf dem Kölner EU-Gipfel erstmals Anfang Juni ein Hoher Vertreter für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ernannt werden.

Das Europäische Parlament wird zukünftig in 23 zusätzlichen Bereichen mitentscheiden. Im Vorgriff auf ihre neuen Rechte legten sich die Abgeordneten im Dezember bei der Entlastung für den Kommissionshaushalt von 1996 quer. Und das neue Selbstbewußtsein führte letztlich auch zu dem Mißtrauensantrag im Januar, der die Kommission zu Fall brachte.

Der zukünftige Kommissionschef Romano Prodi will den Fehler seines Vorgängers Santer, der den Unmut der Parlamentarier auf die leichte Schulter nahm, nicht wiederholen. Für seine Ernennung braucht er nach der neuen Vertragslage nämlich die Zustimmung der Abgeordneten. Schon dreimal sprach er mit dem Parlament über seine Reformvorstellungen und Personalvorschläge. Die Grünen-Chefin Magda Aelvoet merkte dazu bereits kritisch an, daß in seinem Schattenkabinett bislang nur drei Frauen auftauchen. Der noch amtierenden Kommission gehören immerhin fünf Frauen an.

Aber Prodis Stellung wird durch den Amsterdamer Vertrag auch gestärkt. Er erhält eine Richtlinienkompetenz und disziplinarische Rechte gegenüber seinen Kommissionskollegen. Sesselkleber wie Edith Cresson, die sich von Santer nicht zum Rücktritt bewegen ließ und so die ganze Kommission mit in den Korruptionsskandal riß, dürften in Zukunft keine Chance mehr haben.

Als mehr Demokratie in Europa wird der Amsterdamer Vertrag den Wählern verkauft. Das sehen nicht alle so. Europas Bürger sollen im Juni an die Wahlurnen. Die derzeit vielfach befürchtete geringe Wahlbeteiligung würde die Legitimation der Eurokraten weiter schwächen. Kritiker sehen im neuen Vertragswerk deutliche Ansätze zu weniger Demokratie. Sie warnen vor dem Vakuum, das durch Übergangsfristen entsteht: In der Asyl-, Flüchtlings-, und Einwanderungspolitik endet morgen die Zuständigkeit der nationalen Parlamente.

Das Europaparlament wird aber erst nach einer Übergangszeit von fünf Jahren mitentscheiden können. In der Zwischenzeit machen die Regierungschefs die Sache unter sich aus. Damit sind heiße Eisen wie Asylrechtsänderungen weitgehend der öffentlichen Auseinandersetzung entzogen. Kein ermutigendes Signal für Europas Wähler.