Risse in der Belgrader Einheitsfront

■ Vuk Draskovics Auftritt war kurz, aber heftig. Nach seinem Abgang sind die Perspektiven für die Oppositon unklarer denn je

Der Parteisitz der „Serbischen Erneuerungsbewegung“ (SPO) war am Mittwoch randvoll. Gespannt warteten Journalisten auf den SPO-Vorsitzenden Vuk Drakovic. Wegen einiger kritischer Äußerungen war der jugoslawische Vizepremier soeben entlassen worden. Würde der berühmte serbische Oppositionspolitiker, der Organisator der Massendemonstrationen gegen den heutigen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Miloevic wieder dem Regime den Kampf ansagen? Immerhin hatte Miloevic die Anhänger des monarchistischen Wirrkopfs vor acht Jahren mit Panzern zur Besinnung bringen müssen.

Mit schwarzen Ringen unter den Augen, seinen ordentlichen, kurzgeschorenen Bart nervös zupfend, drängte sich Drakovic durch die Journalisten. Bevor er Mitglied in der jugoslawischen Regierung wurde, hatte er seinen Bart wild wachsen lassen, und damit die Ausstrahlung eines ungezügelten Rebellen unterstrichen. Wie der Bart, so der Mann, zumindest wenn es um Drakovic geht.

Der Ex-Vizepremier war kurz angebunden. „Ich glaubte den Standpunkt der Bundesregierung vertreten zu haben“, sagt Drakovic. Dann meinte er, die Nato könne sich nicht die ganze Welt nach ihrem Wunsch formen, dafür sei die UNO zuständig, Jugoslawien sei das Opfer einer „kollektiven Bestrafung“, jede Bombe, die Serbien treffe, treffe auch ihn selbst. Das Verbrechen der Nato in Surdulica, wo eine Wohnsiedlung getroffen wurde und mindestens 16 Menschen, darunter sieben Kinder ihr Leben verloren, gleiche dem Verbrechen der Nazis in Mauthausen. Die SPO würde weiter gegen die Aggression der Nato kämpfen.

„Scheiße!“, murmelte ein serbischer Journalist und verließ demonstrativ den Raum. „Typisch Drakovic“, meinte ein anderer, älterer Kollege. „Er beginnt etwas und bringt es nie zu Ende.“

Am 25. März hatte die jugoslawische Bundesregierung den Kriegszustand in Jugoslawien verhängt. Alle Medien in Serbien wurden gleichgeschaltet, die ohnehin schwache Opposition mundtot gemacht.

Seit Kriegsbeginn kann man in allen serbischen Zeitungen das gleiche lesen, in allen elektronischen Medien dasselbe hören und sehen: Die üblichen Durchhalteparolen, scharfe Kritik an die Adresse der „verbrecherischen Nato“, die Zusicherungen, daß Jugoslawien für die Freiheit gegen den „amerikanischen Neonazismus“ kämpfe, daß die Nato bald unter dem Druck der eigenen Öffentlichkeit auseinanderfalle und Rußland mit der Drohung eines Atomkriegs die „kriminellen Attacken“ der Nato aufhalten würde. Das Volk müsse nur aushalten, denn die Wahrheit und Gerechtigkeit seien auf der Seite der Serben.

Die Harmonie der staatlichen Propaganda hatte Drakovic am vergangenen Sonntag aus heiterem Himmel gegenüber dem Belgrader privaten Fernsehen „Studio B“ gebrochen: „Das Regime soll endlich aufhören, das Volk zu belügen, denn die Nato wird sicher nicht auseinanderfallen und Rußland keineswegs für Serbien untergehen!“ erklärte Drakovic bitterböse. Wenn die Serben wüßten, wie groß die Ausmaße der Zerstörung im Lande seien, würden sie einen Kompromiß begrüßen, sagte Drakovic und setzte sich für die Stationierung von UN-Friedenstruppen im Kosovo ein. Auch sei der Sinn des Krieges nicht, die regierenden Parteien vom Ehepaar Slobodan Miloevic und Mira Markovic zu verteidigen, und der Krieg dürfe nicht als Ausrede mißbraucht werden, die Meinungs- und Redefreiheit zu unterdrücken. Und Drakovic erinnerte daran, daß es in Serbien vor langer Zeit so etwas wie eine Opposition gab.

Die erreichte ihren Höhepunkt im Winter 1996/97. Drei Parteien, die monarchistische „Serbische Erneuerungsbewegung“ (SPO), die zwischen westlicher Demokratie und serbischem Nationalismus irrende „Demokratische Partei“ (DS) und der vom Westen hochgepriesene „Bürgerbund“ (GSS) gründeten vor den Kommunalwahlen in Serbien 1996 das Bündnis „Zajedno“ (Gemeinsam).

„Zajedno“ siegte in 70 Prozent der Gemeinden, doch das Regime fälschte die Wahlergebnisse. Die Leader der drei Parteien, Vuk Drakovic, Zoran Djindjic und Vesna Pesic führten Hunderttausende auf die Straße. Monatelang dauerten die Demonstrationen, eine nicht geahnte Energie und der Wunsch nach demokratischen Reformen brachen sich Bahn. Der brutale Einsatz der Polizei nutzte nichts, die internationale Gemeinschaft mischte sich ein, zum ersten Mal mußte Miloevic eine Niederlage einstecken.

Doch der Hoffnungsschimmer verblaßte bald. Die drei Parteiführer konnten sich über die Beute nach dem Wahlsieg nicht einigen. „Zajedno“ zerfiel im Streit um die Verteilung von Funktionen, die Opposition wurde zum einflußlosen Vegetieren verdammt.

Während Drakovics jüngster Vorstoß in westlichen Medien Schlagzeilen machte, wurde er in Serbien totgeschwiegen. Das staatliche Fernsehen ignorierte ihn, die angesprochenen Machthaber im Lande blieben stumm. Nur wer „Studio B“ empfängt, weiß was passiert ist, und das ist immerhin ein Drittel Serbiens. Die Chefredaktion des von Drakovic beeinflußten Fernsehsenders protestierte in der eigenen Tagesschau, weil sich der Informationsdienst der jugoslawischen Armee, „in die Informationspolitik des Senders einmischen wollte“. „Zensoren rauß aus allen Redaktionen!“ schrie Drakovic auf, doch verstummte bald.

In der homogenen Front des Regimes ist, erstmals nach Beginn des Krieges, ein – wenn auch nur kleiner – Riß entstanden. Ob er durch die rasanten Ereignisse in Jugoslawien größer wird, ist ungewiß. Andrej Ivanji, Belgrad