„Die Nato hätte handeln können“

■ Der Bremer Völkermordforscher Professor Gunnar Heinsohn sagt, Milosevic habe seit Oktober den Völkermord im Kosovo vorbereitet

taz: Die Nato spricht zur Legitimierung ihrer Luftangriffe von einem Völkermord im Kosovo. Stimmt diese Einschätzung?

Gunnar Heinsohn: Nach der Völkermord-Konvention von 1948 ist das Töten von Mitgliedern einer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppe Völkermord. Schon die Vorbereitung eines Völkermords ist strafbar. Auf diese Konvention kann sich die Nato beziehen.

Warum?

Weil Miloevic nach Geheimdienstberichten der USA seit Oktober 1998 solche Vorbereitungen getroffen hat. Er hat die Offiziere in der serbischen Armee ausgewechselt, die beim Töten nicht mitmachen wollten. Das ist eines der vier „Red-Alert“(Rot-Alarm)-Kriterien für die Vorbereitung eines Völkermords.

Welche sind die anderen drei Kriterien?

Die zu tötende Gruppe wird gekennzeichnet, und Spezialisten machen die Wohnorte ihrer führenden Köpfe aus. Das haben die Serben gemacht. Ferner wird Propaganda gegen diese Gruppe betrieben. Schließlich werden Tötungseinheiten aufgestellt – in diesem Fall sind das die bereits bekannten aus dem Bosnienkrieg. Alle Kriterien waren also im Kosovo erfüllt.

Hätte die Nato dann nicht früher eingreifen müssen?

Schon im vergangenen Oktober hätte die Nato sagen können: Serbien bereitet einen Völkermord vor, und wir stellen uns darauf ein, den zu verhindern.

Der Nato-Angriff ist also gerechtfertigt?

Die Frage ist schwer zu beantworten. Denn wir haben keine unabhängige Instanz, die einen Völkermord feststellt. Die Serben können also leicht behaupten, daß nur die Nato von Völkermord spricht. Wie soll man so eine Aussage überprüfen?

Wie stellen Sie sich eine derartige Instanz vor?

Es fehlt eine neutrale Völkermord-Frühwarnstation bei der UNO. Bislang ist die UNO vor der Einrichtung zurückgeschreckt. Denn wenn ein Genozid festgestellt wird, müssen die UN-Führungskräfte handeln, sonst können sie vor Gericht gebracht werden. Das erste Beispiel war 1994 der Völkermord an den Tutsis in Ruanda. Damals sprach die UNO bewußt von Bürgerkrieg und nicht von Genozid, um nicht zum Handeln gezwungen zu sein.

Läßt sich das mit dem Kosovo-Konflikt vergleichen?

Die Serben betonen ihre territoriale Unverletzbarkeit. Und sie sprechen von einem Bürgerkrieg der UÇK gegen die serbische Armee. Doch Bürgerkrieg ist hier nur Tarnung für Völkermord.

Die Vertreibung der Kosovo-Albaner wird oft mit dem Holocaust verglichen. Ist diese Parallele zutreffend?

Obwohl ich verstehen kann, daß jemand wie Außenminister Fischer damit seine moralische Empörung deutlich machen wollte, ist der Vergleich unglücklich. Denn viele haben das Gefühl, daß Auschwitz etwas Besonderes war, ohne es letztlich erklären zu können. Deshalb will manAuschwitz nicht mit anderen Grausamkeiten vergleichen. Der Hauptunterschied zum Holocaust jedoch liegt im Motiv. Hitler wollte die jüdische Ethik ausrotten. Das hat Miloevic mit den Albanern nicht vor.

Was will Milosevic statt dessen?

Er will „serbischen Lebensraum“ erhalten. Das ist ein klassisches Muster. Die viel passendere Parallele aus der NS-Zeit zu Miloevic' Politik ist daher die Ausrottung und Vertreibung der Slawen in Polen.

Es gibt eine Diskussion, ob man die Kosovo-Flüchtlinge ausfliegen sollte. Würde das die Vertreibungspolitik von Milosevic unterstützen?

Diese Argumentation ist nicht falsch, aber sie kann nicht ins Kalkül gezogen werden, wenn eine Notlage eingetreten ist. Dann gibt es nur das Diktat zu helfen. Wenn die Flüchtlinge in den verarmten Nachbarländern des Kosovo nicht sicher überleben können und dort Unruhen ausbrechen, dann muß man sie ausfliegen.

Ist es jetzt noch vorstellbar, daß die Kosovaren irgendwann in ihre Heimat zurückkehren?

Wir als Deutsche wissen seit 1945, wie schwierig die Zivilisierung eines Landes ist. Sie hat ein halbes Jahrhundert gedauert und ist unter Waffen erfolgt. Hier standen alliierte Truppen, und wir hatten eine begrenzte Souveränität. Leider gibt es noch keine Spezialisten für nach-völkermordliche Versöhnung. Die brauchen wir im Kosovo. Es wäre schön, wenn der deutsche Außenminister dies als unseren Beitrag anbieten würde. Interview: Jutta Wagemann