Kommentar
: Das russische Interesse

■ Tschernomyrdins Diplomatie wirkt mühsam, ist aber kalkuliert

Auch der dritte russische Vermittlungsversuch bleibt noch weit von einer Übereinkunft im Kosovo entfernt. Aber wäre es realistisch, mehr zu erwarten? Auch Jelzins Balkanemissär Tschernomyrdin fährt nicht als überparteilicher Konfliktmanager oder Ethikprofessor nach Belgrad. Auch ihm sind innenpolitisch die Hände gebunden. Persönlich mag es ihm inzwischen gar nicht mal mehr behagen, Verständnis für den finsteren Tyrannen aufzubringen. Doch die fragile Kräftekonstellation in Moskau zwingt ihn zu einem Drahtseilakt. Denn aufmerksam verfolgt die imperial gestimmte politische Elite, ob sich der Gesandte zum Briefträger des Westens degradieren läßt.

Immerhin haben sich mit Tschernomyrdins Ernennung die Gewitterwolken am Ostrand Europas vorübergehend verzogen. Die Hysterie von Premier Primakow, seinem Außenminister Iwanow und einer ganzen Reihe Militärs ist nüchterner Betrachtung gewichen. Die symbolische Kanonenbootpolitik durch Entsendung eines russischen Heringskutter-Aufklärers in die Adria wird in die Geschichte bestenfalls als Anekdote eingehen. Das zerstörerische Potential der west-östlichen Disharmonie konnte entschärft werden. Vom Statisten wechselte Moskau zumindest auf Zeit in den Regiesessel.

Milošević dürfte über den neuen Emissär eher enttäuscht sein. Seine Strategie, im Schulterschluß mit alten Sowjetapparatschiks den Konflikt eskalieren zu lassen, bis die Nato vor unkalkulierbar gewordenen Konsequenzen zurückschreckt, ist vorerst gescheitert.

A la longue wird Tschernomyrdin dazu übergehen, auf Belgrad Druck auszuüben. Doch warum überstürzen? Es kann nicht Moskaus Interesse sein, der Nato schnellstmöglich aus der Bredouille zu helfen. Denn dies würde den Nato-Eingriff im nachhinein rechtfertigen: Tschernomyrdin wäre politisch ein toter Mann.

Vielmehr dürfte sich der Kreml einen Erfolg wünschen, der noch ein wenig auf sich warten läßt. Denn letztlich will Rußland die US- und Nato-Dominanz zugunsten einer multipolaren Weltordnung verändern. Ist Belgrad nicht bereit, sich beizeiten auf dieses russische Interesse einzulassen, ja torpediert es Moskaus Anliegen gar erneut, dann wird sich Parteilichkeit abrupt in Strenge verwandeln. Diesen Stimmungswandel vermittelt Tschernomyrdin glaubwürdiger als das Sowjetfossil Primakow. Klaus-Helge Donath