Derwischtänze um die Urne

■ Mißtrauen gegen den Kriegsbund: Christian Ebert schält bei Hölderlins „Hyperion" im Malersaal-Foyer aktuelle Bezüge heraus

Alles erinnert an eine psychiatrische Anstalt. Hyperion und Bellarmin sitzen apathisch auf ihren Stühlen, der eine mit verbundenem Kopf und kratzenden Handbewegungen, der andere im neongrünen Jogginganzug, stumm auf einen Punkt starrend. Die nackten Betonwände des Malersaal-Foyers, in dem Hyperion seine Reise in die Vergangenheit antritt, untermauern die Aura unüberwindbarer Trostlosigkeit.

Bruchstückhaft beginnt der aus seiner „Geisteseinsamkeit" erwachende Hyperion zu berichten: von dem Tod der Geliebten Diotima, der verlorenen griechischen Heimat und dem „Freund und Kampfgenossen" Alabanda. Manchmal kramt er aus seiner Anzugjacke eine Postkarte hervor – kitschige Sonnenuntergänge als Reminiszenzen an ein verlorengegangenes Paradies und gleichzeitig ironische Anspielung auf die poetischen Naturschwärmereien Hölderlins, die bei der Bühnenfassung von Christian Ebert und Michael Weber herausgefallen sind.

Aus dem Brief- und Bildungsroman haben sie ein Monolog-Drama des Scheiterns herausgeschält, in dem Rhythmik und Melodie neben dem thematischen Geflecht aus Liebe, Freundschaft und Revolution eine mindestens ebenso große Rolle spielen. Bei Michael Weber klingt Hyperions lyrischer Bilderreichtum vertraut und selbstverständlich wie Alltagssprache. Zorn über den vermeintlichen Verräter Alabanda, Spott über das verlogene Bildungsbürgertum, der prophetisch vorgebrachte Glaube an einen gerechten Krieg – mühelos meistert Weber diese ständig wechselnden Gefühlsregungen, ohne auch nur einmal in den Pathos der Deklamation zu verfallen. Vielmehr hat er sich die riskante Existenz des Dichters, der für seine Ideale über die Grenzen der Vernunft zu gehen bereit war, geradezu einverleibt.

Peter Grund in der Rolle des stummen Freundes Bellarmin unterstützt mit rhythmischem Händeklatschen, Improvisationen mit einer Melodica oder mit elektronischen Effektgeräten die zwischen Melancholie und Euphorie schwankenden Stimmungen Hyperions. Manchmal lockt er sie auch erst aus ihm heraus, etwa mit einem Schlagzeugsolo, zu dem Weber in einer Mischung aus Derwischtänzer und Rocksänger um die Urne Diotimas tanzt. Bei den Gedichtvertonungen ignoriert Grund allerdings die vom Text angeschlagene Melodik. Gegen seine leiernden, an irische Folklore erinnernden Songs scheint sich die Sprache Hölderlins zu wehren.

Dennoch gelingt es Christian Ebert mit seiner Inszenierung, dem Briefroman Bühnenleben einzuhauchen. Die Verknüpfung von Liebe, Freundschaft und Politik, von Revolution und der Anmaßung, vermeintlich gerechte Ziele auch mit Gewalt durchsetzen zu können, transportieren fast beiläufig eine verblüffende, manchmal schockierende Aktualität. Dem kriegerischen „Bund der Nemesis" zu mißtrauen, ist eine von Hyperions Einsichten. Und koste es auch den Verstand. Joachim Dicks