Crash Test

Das Tanztheaterstück „Nothing Hurts“ auf Kampnagel zeigt Nähe als Kollisionen  ■ Von Anja von Steht

Mein Körper hat schon so Risse überall. Kannst Du den nicht mal anfassen, der löst sich sonst einfach auf!“ Diese sehnsüchtige Bitte läuft ins Leere. Hier rettet keiner den Körper vor dem allmählichen Verschwinden. In Nothing Hurts suchen die Choreographin Anouk van Dijk und der Regisseur Falk Richter nach Momenten wirklicher Begegnung und Nähe. Situationen, die uns der Einsamkeit und der Erstarrung entreißen. In einem behutsamen Zusammenspiel von Bewegung, Klang und Sprache schufen sie dabei selbst einen solchen Moment.

Nothing Hurts ist ein äußerst bewegendes Szenario der Sehnsüchte und Ängste in einer lähmend sicheren Welt. Nothing Hurts ist auch die erste Zusammenarbeit zwischen Anouk van Dijk, einem Mitglied der Rotterdamse Dansgroep und Amanda Millers Pretty Ugly Dance Company, und Falk Richter, der seine erste große Inszenierung Silikon 1996 auf Kampnagel zeigte. Seit zwei Jahren verfolgen die beiden die Arbeit des anderen und stehen in ständigem Austausch. Daraus entstand die Idee, ein gemeinsames Projekt mit Tänzern und Schauspielern zu entwickeln, in dem sich ihre Arbeitsweisen verknüpfen.

„Ich liebe dich“ gesteht der Junge mit Cowboyhut. „Das ist doch totaler Schwachsinn. Das fühlst Du doch gar nicht. Das klingt doch bloß angenehm“, vermutet die Raucherin resigniert. Wenn sich nichts mehr echt anfühlt, auf was können wir dann noch vertrauen? Die Angst vor der zunehmenden Entkörperlichung und Isolation treibt die Figuren in Nothing Hurts in den Ausnahmezustand. Nur noch in der Verletzung, in der schmerzhaften Kollision scheint eine Begegnung mit dem anderen möglich: „Ich muß heute nacht noch mit einem anderen Körper zusammenprallen.“

Die Strategien des Zusammenpralls sind zahlreich: Zwei Performerinnen (beeindruckend kraftvoll: Bibiana Beglau und Sylvana Krappatsch) entwerfen blutige Splatter-Filmszenarien. Sie katapultieren sich in grausame Phantasieorte, an denen sie sich erleben, an denen Nähe vorstellbar wird: „Wir beide im selben Rettungswagen, verbunden mit denselben Schläuchen.“

Das verbale Duell führen die Tänzer Anouk van Dijk und Jack Gallagher weiter. Ihr Schlagabtausch ist ein Kampf um Nähe, um die Möglichkeit, schwach sein zu dürfen. Ineinandergewobene Bewegungen werden jäh unterbrochen. Die Wucht der Impulse zeigt, wie die beiden miteinander um Geborgenheit ringen. Spiel- und Tanzsequenzen verschränken sich im Verlauf des Stücks immer mehr. Immer wieder pochen die Figuren auf den Körper, ihr letztes authentisches Material, befühlen sich und die anderen von Kopf bis Fuß. Ist das echt, spüre ich etwas? Die Teststrecke des eigenen Empfindens gerät zum Loop. Die Dringlichkeit des Fühlen-Wollens läuft leer, weicht der Erschöpfung.

Daß genau diese Momente nicht niederschmettern, sondern Mut machen, ist der größte Erfolg von Nothing Hurts. „Ich glaube nicht, daß ich Angst habe. Angst, wovor? Mir passiert nichts. Nein, mir passiert absolut nichts. Ich spüre keine Verletzungen, alle meine Bewegungen werden abgefedert. Es gibt kein Blut mehr. Mein Körper kann nur explodieren und dann sehe ich Bilder,“ stammelt eine der Figuren. In der Gewißheit ihrer Isolation erhebt sie sich über ihre Befürchtungen. Sie wird sicher, ernsthaft, echt. Mit dieser Erkenntnis ist alles möglich. „I am the coolest insect around“, prahlt der DJ und Performer Malte Beckenbach. Die anderen sprechen lächelnd mit und nicken.

„Kann man das so sagen? Kann man das vielleicht so sagen? Kann man?“, fragt die Reporterin an anderer Stelle wiederholt die junge Splatterfilm-Autorin . „Ja, das kann man sagen. Das kann man alles so sagen. Alles. Auch.“, antwortet diese. Mit dieser Mehrdimensionalität befreit Nothing Hurts nicht nur seine Figuren, sondern auch sein Publikum und reflektiert die eigene Rezeption. Keine Angst, alles ist möglich. Das kann man alles so sagen. Alles. Auch.