Erik will zum Johan werden

Daß Erik Zabel „Rund um den Henninger Turm“ gewinnt, ist zwar schön für das Team Telekom, aber eher ein Abfallprodukt auf dem Weg zur Tour de France  ■ Aus Frankfurt Mirjam Fischer

„Es ist Eriks Traum, ein zweiter Johan Museeuw zu werden – nicht meiner.“ Aber wieso denn nicht, Herr Godefroot? Für einen Augenblick schien es, als ob sich Telekoms Sportlicher Leiter plötzlich Sorgen machte um seinen einzigen Spitzensprinter, der mit 28 Jahren beschlossen hatte, zum Alleskönner zu metamorphosieren. Als befürchtete der Belgier, der selbst einmal einer der spurtschnellsten Männer der Welt war, Zabels Beine könnten eher heute als morgen vor lauter Ausdauer für den Massensprint zu langsam werden. Dabei gibt es keinen Grund zur Bange: Es ist für den deutschen Radsport kein Schaden, wenn Erik Zabel nun partout einer werden will, der die Frühjahrsrennen genauso gewinnen kann wie die Flachetappen der Tour de France. Telekoms lädiertem Image würden ein paar große Auftritte vor dem Juli jedenfalls gut tun.

Was war es schön, am Samstag Erik Zabels glücksseliges Gesicht zu sehen, als er mit hochgerissenen Armen, in Siegerpose, als Erster über den Zielstrich von „Rund um den Henninger Turm“ fuhr, vor dem schnellen Niederländer Leon van Bon, der ihn das ganze Rennen über belauert hatte, ganze 206 Kilometer und 5:03,40 Stunden lang. Und weil es das erste hochklassige Rennen der Saison auf deutschem Boden war, vor rund einer halben Million Zuschauern am Streckenrand, hat Zabel sogar die Tränen der Enttäuschung vergessen, die er vergossen hatte, als er im März um drei Radlängen die Jahrhundertchance verpaßt hatte: Zabel wäre der erste Rennfahrer gewesen, der den Weltcup-Auftakt Mailand– San Remo das dritte Mal in Folge gewonnen hätte. „So ist es halt im Leben“, tröstete er sich.

Diesmal hatte das Team Deutsche Telekom funktioniert. Doch, die ganze Mannschaft. Sogar Jan Ullrich ist im Ziel angekommen, irgendwo ihm Hauptfeld. Zwei Runden vor Schluß ist er sogar einmal an dritter Position um den Bierturm gespurtet, als kleine Sondereinlage für die Telekomwimpel- schwingenden Fans. Im Zielbereich haben sie auch nicht gesehen, daß ihr Radsportheld meistens am Hinterrad der Kollegen hing. Man darf sich keine Illusionen machen: Für Ullrich bleibt Schongang angesagt. „Wir wollen die Tour gewinnen“, sagt Godefroot, und Telekoms Pressesprecher Mathias Schumann hat sich zurechtgelegt: „Wir lassen uns nicht verrückt machen, nur weil ein paar Laien die Stimmung schüren, Ullrich müsse ständig Leistung bringen.“ Muß er nicht. Soll er die Tour gewinnen.

In den Taunushügeln haben jedenfalls andere Tempo gemacht. Der Kelsterbacher Kai Hundertmarck hielt achtzig Kilometer lang in der sechsköpfigen Spitzengruppe das Tempo hoch, das hat nicht nur die Hessen gefreut. Und es war toll zu sehen, wie Jörg Jaksche und Jens Heppner sich gegenseitig übertroffen haben im Tempomachen für den Henninger-Kapitän Zabel. Beide wollen zur Tour, und es scheint, als hätten sie sich mit ehrlichem Schweiß verdient, von was sie träumen.

Und wie lange haben wir den berühmten Telekom-Expreß schon nicht mehr bewundern dürfen: Wie am Schnürchen gezogen, einer ans Hinterrad des anderen gereiht, zwanzig Kilometer vor dem Ziel hatten sich die acht vor das Hauptfeld gespannt. Nicht einmal die Klassikerspezialisten vom niederländischen Rennstall Rabobank hatten diesmal eine Chance. „Ich hatte die beste Mannschaft, die ich mir hätte erträumen können“, sagte Zabel. Auf der ansteigenden Schlußgerade, 300 Meter vor dem Ziel, trat der Sprintmeister in die Pedale. Viel früher als gewöhnlich und untypisch für einen Sprinter. Die Taktik hatte Zabel seinem ehemaligen Kollegen Olaf Ludwig abgeschaut. Der war 1994 der letzte Deutsche, der das Rennen gewonnen hatte, weil er einen halben Kilometer vor dem Ziel attackierte. „Ich wollte nichts riskieren. Hätte ich länger gewartet, hätten sie mich womöglich wieder eingekeilt“, sagte Zabel und will jetzt wieder öfter gewinnen: „Weil gewinnen so schön ist.“

Und deshalb will er jetzt ein zweiter Johan Museeuw werden. „Ja gut, es ist Eriks Sache, was er tut.“ Na also, Walter Godefroot. Uns hängt es nämlich auch zum Hals heraus, den ganzen Frühling über Ullrichs vereiterte Weisheitszähne oder verschleimten Bronchien schreiben zu müssen.