Schön oder nur schön blöd?

Nach dem 2:2 gegen Berlin behauptet Leverkusens Coach Daum, nie an den Titel gedacht zu haben, und tröstet sich mit ästhetischen Argumenten  ■ Aus Leverkusen Katrin Weber-Klüver

Vor dem Spiel hatte sich Christoph Daum partout geweigert, über die nur noch acht Punkte zu sprechen, die Bayer Leverkusen auf Bayern München fehlten. Er sagte: „Wir haben überhaupt kein Recht, uns an dieser Diskussion zu beteiligen.“ Das klingt für den Trainer eines Tabellenzweiten merkwürdig bescheiden, zumal für einen, den seine Anhängerschaft mit dem Beinamen Magier verehrt und der auf fünf Siege in Folge bauen kann.

Möglicherweise war Daums so ganz und gar unaggressive Haltung an diesem Spieltag auch ein entscheidender Fehler. Selffullfilling Prophecy sozusagen: Bayer spielte gegen Berlin nur 2:2. Bayern aber gewann gegen den Tabellenletzten mühsam, aber das zählt ja nicht. Was zählt, sind Punkte. Vielleicht wäre es also besser gewesen, Daum hätte vor dem unterhaltsamen Spitzenspiel in der BayArena offenherziger seine mutmaßlichen Wunschträume mitgeteilt. Denn anzunehmen ist: Niemand der rechnerisch noch Meister werden kann, weiß und will das nicht auch. Gewiß ist: Um rechnerische Chancen zu nutzen, darf man nicht schlechter punkten als der Einzuholende. Und bei aller Begeisterung für die Spielanlage der Seinen („moderner, attraktiver Fußball“), war Daum spätestens nach dem Spiel klar, was seinem Ensemble in entscheidenden Momenten zum Titel fehlt: die Fähigkeit, „ergebnisorientiert“ zu spielen.

Warum konnte Bayer das an diesem 29. Spieltag nicht, zumal nach zweimaliger Führung? Nico Kovac teilte wenig hilfreich mit: „Normalerweise muß man so was halten.“ Kollege Lehnhoff wußte auch nur, daß Bayer „dominiert und viele große Chancen gehabt“ hatte. Daum bündelte diese Eindrücke prosaisch: „Man hat nie die Garantie, daß die Chancen genutzt werden.“ So vergab Heintze zum Beispiel in der 45. Minute einen Foulelfmeter.

Ausschlaggebend für die Punkteeinbuße aber waren weniger vergebene Chancen als Fehler in der Abwehr. Den Berliner Ausgleich zum 1:1 markierte Wosz mit einem Kopfball, den Leverkusens Nowotny noch abfälschte. Wosz stand im Strafraum mutterseelenallein, nur so läßt sich erklären, daß ein 1,69 Meter großer Spieler per Kopf aufs Tor zielen kann. Die paar Mal, die Berlin ernsthaft angriff, sorgten bei Leverkusen für große Verwirrung. So als würde die Formation am liebsten das Spiel anhalten, die Lage analysieren, daraufhin sinnvolle Zuordnungen treffen, um dann die Stopptaste wieder zu lösen. Vielleicht irritierte die noch in der Lehrzeit befindliche Leverkusener Viererkette auch einfach, daß Hertha nicht wie üblich mit zwei Mittelstürmern auflief, sondern sich wie die Gastgeber selbst der modischen Kombination von einem zentralen Stürmer und zwei offensiven Außenpositionen bediente. Der zweite Berliner Ausgleich allerdings fiel nach einem Freistoß. Dabei nicht ganz auf Höhe des Geschehens zu sein, kann jeder Abwehr passieren. Merkwürdig war allein, warum keiner der Leverkusener monierte, daß dem Freistoß ein anderer unmittelbar vorausgegangen war, den Berlin ausführte, obwohl er für Bayer gepfiffen worden war. Selbst Daum geriet ob der merkwürdigen und folgenschweren Fehlentwicklung nicht in Rage, sondern beschied sich nach Spielschluß mit dem lapidaren Kommentar: „Das war der Witz des Jahrhunderts.“

Wenn's drauf ankommt, so scheint es, lassen sich die Bayer- Buben schnell den Schneid abkaufen. Auch daß Bayern aus der Distanz ein Katz- und Mausspiel spielte, motivierte sie nicht. Nach beiden Ausgleichstreffern der Berliner wurden auf der Anzeigetafel Führungstore der Mönchengladbacher in München vermeldet. Das Publikum geriet darob in Verzückung und feuerte zur Punkteaufholjagd an. Berlin spielte nach einem Platzverweis gegen Herzog sogar noch eine Viertelstunde in Unterzahl. Es war aber alles vergeblich, den Leverkusener Spielern fiel nicht mehr viel ein.

Daum schimpfte in den Schlußminuten doch noch, war wütend über vertändelte Chancen, haderte mit Schicksal, Spielern, wem oder was auch immer. Später besänftigte er sich selbst schöngeistig: „Fußball ist nur nicht ergebnisorientiert, Fußball hat auch mit Ästhetik zu tun.“ Und überhaupt: „Was wir erreicht haben, kann sich sehen lassen.“ Was heißt: Von Vizemeisterschaft und Qualifikation für die Champions League ist nun auszugehen. Der Subtext aber lautet: Es hätte mehr sein können.

Hertha BSC Berlin: Kiraly – van Burik, Herzog, Rekdal (53. Schmidt), Sverrisson – Thom, Veit, Tretschok, Wosz (83. Sanneh), Hartmann – Preetz

Zuschauer: 22.500 (ausverkauft)

Tore: 1:0 Ramelow (9.), 1:1 Nowotny (25./Eigentor), 2:1 Emerson (46.), 2:2 Herzog (52.)

Gelb-Rot: Herzog (78.)/Foulspiel

Bayer Leverkusen: Matysek – Reeb, Zivkovic, Nowotny (61. Happe), Heintze – Emerson, Ramelow, Niko Kovac (78. Meijer) – Hejduk (64. Lehnhoff), Kirsten, Zé Roberto