Schwarze Königinnen der weißen Askese

■ Ex und Top: Die Auto-Ko-Produktion „Über Kreuz“ der ehemaligen Bremer Tanztheaterchefin Reinhild Hoffmann mit der jetzigen, Susanne Linke, verzichtete auf jedes Gerenne und Gepurzle

Und dann bravote es heftig im ausverkauften Schauspielhaus, vielleicht halb aus Wiedersehensfreude und halb als Selbsthilfemaßnahme des Publikums zum Abschütteln aufgestauten asketischen Ernstes. Und mitten im Jubel deuten sich Unterschiede zwischen Reinhild Hoffmann und Susanne Linke an. Die eine grinst ihr Publikum breit an und beklatscht es, die andere bewahrt noch bei der Verbeugung ihren Minimalismus – wie ein vorbildlicher Butler.

Bei der vor zwei Monaten im Berliner Hebbeltheater aus der Taufe gehobenen Produktion „Über Kreuz“ zeigten sich die Bremer Ex- und Ist-Tanztheaterchefinnen jeooch als ziemlich wesensverwandt. In einem Radio-Bremen-Interview meinte Reinhild Hoffmann, daß auch sie sich in den letzten Jahren ein wenig weg von der Requisite und ein wenig hin zur Bewegung bewegt hätte. Mehr noch als bei ihren Gruppenchoreographien vertrauen die beiden Diven in ihrer Koproduktion auf den Körper, will sagen, auf das eigene Charisma.

Vier Bälle, die mal ein Geviert markieren, mal einen Weg festlegen, und die Hälfte eines Hirschgeweihs, zwischen dessen Verästelungen eine Frauentaille herrlich Platz hat und dennoch latent vom Aufgespießtwerden bedroht ist: Das wars. Ach ja, und dann noch zwei verschieb- und verdrehbare Paravants, deren Möglichkeiten zur Bildung von Fronten, Durchgängen, Sichtbehinderungen, Rückenschutz aber nur äußerst dezent wahrgenommen wurden. Die beiden ernsten, schwarzen Anzug- und Cocktailkleiddamen entfalteten in langen Solopassagen verschiedene Bewegungssysteme mit immer gleicher Ruhe und Konzentration.

Susanne Linke etwa erzählt mittels Repetition. Da dreht sie sich impulsiv um 180 Grad als spüre sie im Rücken Gefahr oder Chance lauern, schreitet das neue Blickfeld – links, rechts – aus und gefriert wieder in Bewegungslosigkeit. Mittels dieser Sequenz durchquert sie die ganze leere, von weißen Tüchern begrenzte Bühne – ergebnislos. Ein Posing der Muskel, ein zögerliches Rutschen über den Boden, ein Sammeln und Ausbreiten der Arme wie beim Schattenboxen: Von der introvertierten Selbstvergewisserung bis zur Raumerkundung sind soviele Themen angeschnitten, daß ein roter Faden sich nur schwer erhaschen läßt.

Sind beide Tänzerinnen auf der Bühne, dann ist das Thema die Differenz. Nur selten gibt es gegenseitiges Feedback. Mit halssehnenheraustreibender königlicher Kopfhaltung ziehen die beiden ihre Bahnen wie autistische Monaden. Fast nur am Schluß addieren sich ausgebreitete Arme zu wechselnden Kreuzen. Auch zeigen sich Linke und Hoffmann nicht allzu nachgiebig gegenüber der Musik von Helmut Lachenmann und Salvatore Sciarrino. Abrupte Einsätze einer Soloflöte quittieren sie mit Gleichgültigkeit. Das Auseinanderstreben der Teile scheint ihnen interessanter zu sein als deren Zusammengehen.

Dem Betrachter wird vom Beginn dieselbe Sammlung abgefordert wie in der Mitte und am Ende. Auf den Abwechslungsfaktor verzichten die beiden wagemutig. Beinahe wird der Zuschauer in den Zustand meditativer Abgeklärtheit versetzt wie bei Gerhard Bohner. Und sanft flüstert dazu das Wischen und Zischen der Füße über den glatten Boden. bk